Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
Himmel.
»Als hätte es diese tausend Jahre nie gegeben«, hauchte der Eulin ins Mikrofon. »Er ist wie neugeboren, jung und glücklich. Er hat die Zeit hinter sich gelassen und zieht seine Kreise zwischen den Sternen. Kommt in tausend Jahren wieder, Freunde!«
Die Saaldecke schloss sich.
»Für dieses Spektakel bietet deine Geschichte zum Beispiel auch keine Erklärung«, wandte sich Artjom an Cortes. »Abgesehen davon siehst du für einen Menschen mit mehreren Schusswunden verdammt gesund aus.«
»Du hättest ihn nicht in die Eidechse bestellen sollen«, seufzte Jana. »Kein Wunder, dass er hier ins Grübeln kommt.«
Artjom lag nichts ferner, als einer so liebreizenden jungen Frau zu widersprechen, doch in diesem Fall musste er sie zumindest ein wenig korrigieren.
»Die Eidechse setzt dem Ganzen nur die Krone auf. Mit Stoff zum Grübeln wurde ich schon seit heute Morgen bombardiert.«
»Inwiefern?«
»Zuerst hat mein Handy verrückt gespielt. Es wurde über Nacht mit seltsamen SMS-Nachrichten zugemüllt. Mir blieb nichts anderes übrig, als es auszuschalten. An meinem Fernseher war plötzlich ein neues Programm eingestellt, mit dem Kürzel TGC, sagt euch das was?«
»Gewiss, gewiss«, bestätigte Cortes. »Und weiter?«
»Im Autoradio hatte ich auf einmal auch einen neuen Sender, dessen Reporter übrigens besser als die Polizei über die gestrigen Ereignisse informiert waren. Obendrein bekam ich dann noch eine mysteriöse Plastikkarte geschickt und eine Benachrichtigung, ich sei an den TKV angeschlossen worden.«
Jana pfiff zwischen den Zähnen und wandte sich an Cortes: »T-Grad-Com? Wer hat ihn angeschlossen?«
»Was ist überhaupt dieser TKV?«, warf Artjom ein, der es jetzt genau wissen wollte.
»Der Telekommunikations-Verbund, das Informationssystem der Verborgenen Stadt«, erläuterte Jana.
»Könnt ihr das etwas genauer ausführen?«
»Ist doch stocksimpel«, entgegnete Cortes grinsend. »Es handelt sich um Radio – und Fernsehprogramme für die Bewohner einer Stadt, von der niemand etwas weiß.«
»Und wo befindet sich diese Stadt?«
»Hier.«
»Hier?«
»Moskau hat viele Gesichter«, philosophierte Jana. »Einige davon sind dir vertraut, von einigen hast du nur gehört und andere kannst du erahnen.«
Der Vortrag von Professor Serebrjanz! Jana?! Auf einmal fiel es Artjom wie Schuppen von den Augen.
»Du bist unaufmerksam, Artjom«, rügte die Söldnerin und sah ihn herausfordernd an.
»Ich habe dich auf dem Vortrag gesehen!«
»Richtig.«
»Dann stimmt es also, was der Typ erzählt hat?«
»Zum Großteil, ja.«
Lew Moisejewitsch Serebrjanz war also mitnichten ein versponnener Professor, sondern ein genialer Wissenschaftler. Wenn Lusja das wüsste, dachte Artjom, schenkte sich aus der eisgekühlten, beschlagenen Kristallkaraffe ein volles Glas Wodka ein und trank es in einem Zug leer.
»Probier was vom Grillteller«, empfahl Cortes.
Artjom spießte ein Stück Fleisch auf seine Gabel und entspannte sich. Der Wodka wärmte angenehm die Magengrube und stieg ihm ein wenig zu Kopf.
»Bist du in Ordnung?«, erkundigte sich Jana teilnahmsvoll.
»Zu hundert Prozent. Trotzdem fällt es mir schwer, das zu glauben.«
»Es bleibt dir aber nichts anderes übrig.«
»Und wo verstecken sich die Bewohner dieser Stadt?«
»Nirgends. Sie leben mitten unter uns.«
»Aber sie sind doch keine Menschen?«
»Nein, aber die meisten sind uns sehr ähnlich. Die Übrigen verkleiden sich oder setzen Trugbilder ein.«
»Ihr auch?«
»Nein«, entgegnete Cortes. »Wir sind Menschen wie du. Söldner.«
Das beruhigte Artjom ein wenig. Es hätte ihm gerade noch gefehlt, mit irgendwelchen Aliens am Tisch zu sitzen.
»Aber wie gelingt es ihnen, sich zu verbergen, wenn sie doch keine Menschen sind?«
»Die dort drüben sind zum Beispiel Chwanen.« Jana
wies mit dem Kopf zum Nachbartisch, an dem zwei Männer in teuren Anzügen zu Abend speisten, und fügte, an Cortes gewandt, hinzu: »Lass ihn mal sehen, sonst glaubt er’s nicht.«
»Logisch.« Cortes reichte Artjom ein Rauchglas-Monokel. »Versuch’s mal damit.«
Artjom klemmte sich das Monokel vors Auge und spähte zum Nachbartisch.
»Und?«
Die Männer schoben sich nach wie vor Fleischstücke in den Mund und tranken Bier. Nach verlängerten Eckzähnen, Hörnern oder Krallen fahndete Artjom vergeblich.
»Mach das andere Auge zu.«
Kaum kniff Artjom das freie Auge zu, begann das Monokel zu wirken. Durch das Rauchglas hindurch verschwammen
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