Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
der das Recht auf Privateigentum respektiert. Er hat mir eine angemessene Summe für das Buch geboten, und ich habe es ihm verkauft.«
Die Droge begann zu wirken. Cortes’ Stimme wurde kräftiger, und seine Augen gewannen ihren lebhaften Glanz zurück.
»Seither blieben wir ständig in Verbindung. Santiago wandte sich mit kleineren Aufträgen an mich und erzählte mir nach und nach von der Verborgenen Stadt. Vor zwei Jahren habe ich dann bei den Spionen den Dienst quittiert, und er bot mir an, in Moskau für ihn zu arbeiten. So hat sich das entwickelt.«
Gute Profis finden immer Arbeit, dachte Artjom.
»Was ich noch fragen wollte, gibt es eigentlich so etwas wie Gesetze in der Verborgenen Stadt?«
»Es gibt das Recht auf Privateigentum«, bestätigte der Söldner.
»Sonst nichts?«
»Es gibt einen Kodex, aber der regelt in erster Linie, auf welche Weise Eigentum übertragen werden kann. Streitigkeiten werden durch Schiedsgerichte entschieden. Gefängnisse gibt es nicht. Die schuldige Partei bezahlt entweder eine Strafe oder mit dem Leben. Zu Exekutionen greift man jedoch nur im Extremfall, da die Einwohnerzahl ohnehin gering ist …«
»Gibt es auch unter den Menschen Zauberer?«
»Unter den Menschen?«, wiederholte der Söldner und zögerte ziemlich lange. »Nun ja, es gibt welche.«
»Stimmt was nicht mit denen?«, fragte Artjom, dem
ein gewisses Unbehagen in Cortes’ Stimme nicht entgangen war.
»Wie soll ich sagen …«, erwiderte er grinsend. »Da wir Humos keine eigene Magische Quelle besitzen, müssen sich diejenigen, die Verbindung zur Verborgenen Stadt haben, an eine andere Quelle halten. Dafür kommt nur der Regenbrunnen infrage, da die Luden uns genetisch sehr ähnlich sind. Einige Schmarotzer schöpfen auch die Energie von ihresgleichen.«
»Energievampire?«
»Keine Sorge. Eingriffe in die Persönlichkeit sind verboten. Wenn ein Humo meint, er müsse Energie bei seinesgleichen abzapfen, bekommt er früher oder später Besuch von humorlosen Jungs aus dem Grünen Hof, und die machen ihm dann unmissverständlich klar, dass er seine Energie gefälligst käuflich zu erwerben hat. Der Markt für magische Dienstleistungen ist hart umkämpft, und so lässt man dem Zauberer keine Wahl. Entweder er kauft die Energie des Regenbrunnens oder er wird beseitigt.«
»So schützen die Luden ihren einträglichen Markt, nicht wahr?«
»In erster Linie schützen sie die Persönlichkeitsrechte. «
»Aber …«
»Psst!«
Cortes wies mit dem ausgestreckten Arm in die Tiefe eines düsteren Gangs. Als Artjom in diese Richtung schaute, bekam er einen gewaltigen Schreck. An der schwach ausgeleuchteten Wand saß eine schäferhundgroße Ratte und beäugte die Menschen mit ihren listigen,
schwarzen Knopfaugen. Schwarze Silhouetten im finsteren Hintergrund verrieten, dass sich mehrere dieser Monster eingefunden hatten. Offenbar waren sie auf der Suche nach einem Frühstück. Artjoms kurzgeschorene Haare stellten sich auf, seine Knie wurden weich und auf seine Stirn traten Schweißperlen.
»Wo kommen die denn her?«
»Das ist das Jagdrudel eines Ossen«, flüsterte der Söldner. »Die Mistviecher haben uns aufgespürt.«
Er schien auch nicht gerade begeistert über das Auftauchen der Bestien. Er spitzte den Mund und pfiff einen mehrtönigen Lockruf. Den Ratten schien das zu gefallen, sie kamen näher. Die Menschen waren nun von sechs Ungeheuern umzingelt.
»Du hast ihre Aufmerksamkeit erregt«, lobte Artjom seinen Begleiter gehässig. »Und nun?«
Cortes antwortete nicht. Erwischte sich den Schweiß von den Lippen und wiederholte den Lockruf. Zur Antwort ertönte aus der Ferne dasselbe, melodische Pfeifen. Die Ratten reckten schnuppernd die Schnauzen. Der fremde Ruf wiederholte sich, und aus der Dunkelheit trat die Gestalt eines Jägers hervor.
»Das ist ihr Herr«, erklärte Cortes und atmete erleichtert auf.
Der Jäger trat ins Licht und Artjom sah zum ersten Mal im Leben einen Ossen. Er war von kleinem Wuchs, hager und grauhäutig. Für seinen kleinen Kopf hatte er unverhältnismäßig große Augen. Bekleidet war er mit einem weiten Hemd und einer vor Dreck starrenden Hose. Wie alle in der Verborgenen Stadt war er bewaffnet:
Auf dem Rücken trug er ein Bündel von Wurfspießen und an seinem Gürtel hing ein kurzes Jagdmesser.
»Das ist Tschuja, wir haben Glück gehabt«, verkündete Cortes erfreut. »Hallo Tschuja! Erinnerst du dich an mich?«
»Die Krieger des großen Geschlechts Oss vergessen niemals
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