Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
Frauen vorbehalten war. Auf diese Weise konnte sie zwar
nicht Artjoms Gehirn scannen, doch sie erlangte die Macht über seine Gefühle und hatte leichtes Spiel, alles, was sie wissen wollte, aus ihm herauszubekommen.
Artjom sank auf den Sitz zurück und ließ sich den bittersüßen Geschmack von Lanas Lippen auf der Zunge zergehen. Danach konnte man süchtig werden! Als er sich wieder zu ihr beugte, drückte die Fee ihn mit ihrer zarten Hand sanft in den Sitz zurück.
»Wir müssen reden, Artjom«, sagte sie lächelnd und wischte den verbliebenen Lippenstift mit einem Taschentuch ab. »Warum sind die Rothauben und der Grüne Hof hinter dir her?«
Eine leise Stimme aus der Tiefe seines Gehirns versuchte ihm zu sagen, dass er auf diese Frage nicht antworten dürfe, doch seine Gefühle verlangten von ihm, seiner Verführerin alles zu erzählen.
»Sie wollen meine Beute.«
»Die du den Rothauben abgeluchst hast?«
»Ja.«
»Und die haben sie den Tschuden gestohlen?«
»Ja.«
Lana verstummte für einen Moment und schien zu überlegen, ob sie die nächste Frage stellen sollte oder nicht.
»Was ist das für eine Beute?«
»Das Karthagische Amulett.«
»Ups!« Jana stieß einen kurzen Fluch aus, ohne auf Artjom zu achten.
»Hast du es dabei?«
»Nein.«
Abermals beugte sich Artjom begierig zu der jungen Frau und wurde erneut gebremst.
»Hast du es versteckt?«
»Ja.«
»Was sollen die Rothauben mit dem Amulett? Sie können doch gar nichts damit anfangen.«
»Sie arbeiten für den Boten.«
»Der Bote lebt?!« Der Körper der Fee zuckte zusammen, und ihre grünen Augen begannen nervös zu flackern.
»Ja.«
»Dann hat Wseslawa den Grünen Hof hinters Licht geführt! Die Morjanen sollen mich zerfleischen, wenn es anders ist!«
Lana war fassungslos: Das Karthagische Amulett befand sich in den Händen eines Humos; der Bote war am Leben; die Königin hatte ihr Volk verraten; der Zwist in der Verborgenen Stadt verschärfte sich; und nur sie, Lana, eine Fee des Grünen Hofs, hatte es in der Hand, eine Lösung zu finden. Oder etwa nicht?
»Hat sich der Bote gegen die Herrscherhäuser gestellt? «, fragte sie Artjom, der sie ergeben anstarrte.
Das war eine schwierige Frage, und Artjom versuchte, sich an all das zu erinnern, was er in den letzten Tagen und Stunden erfahren hatte.
»Der Bote strebt einen großen Krieg an. Ihm ist nicht klar, dass es der letzte Krieg auf dieser Erde wäre. Für ihn zählt nur Gewalt. Er ist zu spät gekommen.«
»Für wen arbeitest du, Humo?«, fragte die Fee leise, obwohl sie die Antwort schon wusste.
»Für Santiago.«
In Gefangenschaft
Mittwoch, 28. Juli, 07:24 Uhr
Rechtzeitig vor Pulles Eintreffen wurde Jana in einen Keller gebracht, wo bereits vier andere Mädchen eingesperrt waren. Um möglichst verschreckt zu wirken, kauerte sie sich neben der Tür zusammen, bis die Rothauben eintrafen und alle fünf Mädchen in einen schwarzen Kastenwagen verfrachteten. Erst auf der Fahrt wurde sie von den anderen angesprochen.
»Wie bist du hier gelandet?«, fragte ein langbeiniges, grauäugiges Mädchen im Flüsterton. »Über einen Alex?«
»Ja«, flüsterte Jana zurück.
»Das Schwein«, zischte eine Dunkelhaarige aus der anderen Ecke. »Das verdammte Schwein!«
Ihre Stimme brach, und sie begann zu schluchzen. Die Dunkelhaarige war fertig mit den Nerven.
»Was meinst du, wo werden sie uns hinbringen?«, fragte die Grauäugige.
»Egal. Wenn sie uns herumkutschieren, werden sie uns schon für irgendetwas brauchen.«
»Sie werden uns doch nicht umbringen?«
»Doch! Sie bringen uns alle um!«, heulte die Dunkelhaarige.
»Halt den Mund, dumme Gans«, unterbrach sie Jana und lächelte der Grauäugigen aufmunternd zu. »Wenn sie uns umbringen wollten, hätten sie das schon getan. Wahrscheinlich fahren sie uns in irgendein Ganovennest.«
»Du bist ganz schön tapfer«, flüsterte die Grauäugige anerkennend. »Wie heißt du?
»Jana. Und du?«
»Marina.« Die Grauäugige seufzte. »So cool wie du wäre ich auch gern. Aber leider bin ich ein totaler Angsthase. «
»Ich habe auch Angst«, gab Jana nach kurzem Nachdenken zu.
Der Söldnerin war tatsächlich etwas mulmig zumute. Die einzige Ausrüstung, die ihr Santiago zugestanden hatte, war eine Kapsel mit sechsprozentigem Sprengwurzextrakt . Im Versandkatalog der Handelsgilde trug dieses Erzeugnis die Nummer 14 unter der Rubrik »Technische Hilfsmittel zur Selbstbefreiung« und in der Produktbeschreibung hieß es:
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