Die verborgene Wirklichkeit
Multiversum I: Kann der Umstand, dass es in einem Universum prinzipiell unzugängliche andere Universen gibt als unseres, sinnvoll zu Vorhersagen beitragen?
Manche Wissenschaftler, die sich gegen Multiversums-Theorien aussprechen, halten das ganze Unternehmen für ein Eingeständnis des Versagens, für einen richtiggehenden Rückzug von dem lange angestrebten Ziel, zu verstehen, warum das sichtbare Universum gerade diese Eigenschaften und keine anderen hat. Mit einer solchen Haltung sympathisiere ich, bin ich doch einer der vielen, die in jahrzehntelanger Arbeit erkannt haben, welche faszinierenden Aussichten die Stringtheorie für die Berechnung aller grundlegenden, beobachtbaren Eigenschaften des Universums eröffnet, einschließlich der Werte der Naturkonstanten. Wenn wir anerkennen, dass wir Teil eines Multiversums sind, in dem viele oder vielleicht sogar alle Konstanten von einem Universum zum anderen variieren können, dann akzeptieren wir damit auch, dass unser Ziel töricht war. Wenn die grundlegenden Gesetze beispielsweise zulassen, dass die Stärke der elektromagnetischen Kraft im Multiversum viele verschiedene Werte annehmen kann, ist schon die Vorstellung, die Stärke zu berechnen, ebenso sinnlos, als würde man einen Pianisten bitten, den Ton zu spielen.
Damit stellt sich aber die Frage: Bedeutet die Vielfalt der Eigenschaften, dass wir jegliche Fähigkeit verlieren, die unserem Universum innewohnenden Eigenschaften vorherzusagen (oder im Nachhinein zu erklären, warum sie so und nicht anders sind)? Nicht unbedingt. Auch wenn ein Multiversum bedeutet, dass unser Universum nicht einzigartig ist, kann ein gewisses Maß an Vorhersagemöglichkeiten erhalten bleiben. Letztlich läuft das alles auf Statistik hinaus.
Nehmen wir beispielsweise die Hunde. Sie haben kein einheitliches Gewicht. Es gibt sehr leichte Hunde wie die Chihuahuas, die unter Umständen noch nicht einmal ein Kilogramm wiegen; es gibt sehr schwere Hunde wie den Old English Mastiff, der mehr als 100 Kilo auf die Waage bringt. Wenn ich Sie auffordern würde, das Gewicht des nächsten Hundes vorherzusagen, der uns auf der Straße begegnet, mag es so aussehen, als bliebe Ihnen nichts anderes übrig,
als eine zufällige Zahl aus diesem Wertebereich zu nennen. Aber das stimmt nicht: Mit ein wenig zusätzlichen Informationen können Sie Ihre Schätzung deutlich verbessern. Weiß man beispielsweise etwas über die Verteilung der Hundepopulation in der Nachbarschaft, über die Zahl der Hunde dieser oder jener Rasse, die Gewichtsverteilung innerhalb der einzelnen Rassen und vielleicht auch darüber, wie oft Vertreter der einzelnen Rassen in der Regel am Tag ausgeführt werden müssen, so kann man Angaben über das Gewicht des Hundes machen, dem man am wahrscheinlichsten begegnen wird.
Eine genaue Vorhersage wäre das, wie so oft bei statistischen Erkenntnissen, nicht. Aber je nach der Verteilung der Hunde lässt sich unter Umständen viel mehr tun als nur eine Nummer aus dem Hut zu ziehen. Gibt es in der Nachbarschaft eine sehr einseitige Verteilung, in der 80 Prozent der Hunde Labrador Retriever mit einem Durchschnittsgewicht von 30 Kilo, die anderen 20 Prozent eine Mischung verschiedener Rassen vom Scotchterrier bis zum Pudel mit einem Durchschnittsgewicht von 15 Kilo sind, dürfte eine Schätzung aus dem Wertebereich zwischen 27 bis 33 Kilo der Wahrheit recht nahekommen. Der Hund, der uns als Nächster begegnet, kann dann zwar immer noch ein Shih-Tzu-Wollknäuel sein, aber mit großer Wahrscheinlichkeit ist das nicht der Fall. Je einseitiger die Verteilung ist, desto genauer kann die Vorhersage sein. Wenn es sich bei 95 Prozent aller Hunde in der Gegend um 31 Kilo schwere Labrador Retriever handelt, stehen wir mit der Vorhersage, der nächste Hund werde einer davon sein, auf noch festerem Boden.
Ein ähnliches statistisches Verfahren kann man auf ein Multiversum anwenden. Stellen wir uns einmal vor, wir würden eine Multiversums-Theorie untersuchen, die ein breites Spektrum an unterschiedlichen Universen zulässt: verschiedene Werte für die Stärken der Kräfte, verschiedene Teilcheneigenschaften, verschiedene Werte für die kosmologische Konstante und so weiter. Stellen wir uns außerdem vor, die kosmologischen Entstehungsprozesse dieser Universen (beispielsweise die Entstehung von Blasenuniversen im Landschafts-Multiversum) sei so gut erforscht, dass wir die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Universen mit unterschiedlichen Eigenschaften im
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