Die verborgene Wirklichkeit
größere Galaxiensamen neutralisiert werden; eine solche Kombination wäre mit der Entstehung von Galaxien vereinbar – und damit auch mit der Entstehung von Leben. In einem derartigen Multiversum würde der durchschnittliche Beobachter einen größeren Wert der kosmologischen Konstante feststellen, und damit sinkt – möglicherweise drastisch – der Anteil der Beobachter, die für ihre kosmologische Konstante einen so kleinen Wert wie den von uns gemessenen feststellen.
Überzeugte Anhänger des Multiversums verweisen gern auf die Analyse von Weinberg und seinen Mitarbeitern, die sie für einen Erfolg der anthropischen Überlegungen halten. Die Kritiker weisen gern auf die Fragen hin, die von Tegmark und Rees aufgeworfen wurden und den anthropischen Befund weniger überzeugend aussehen lassen. In Wirklichkeit ist die Debatte verfrüht. Dies alles sind erste, sondierende Berechnungen, und am besten geht man davon aus, dass sie nur vorläufige Einblicke in das allgemeine Gebiet des anthropischen Denkansatzes gewähren. Unter bestimmten, eng gefassten Voraussetzungen zeigen sie, dass die anthropische Denkweise uns in den Größenbereich der gemessenen kosmologischen Konstante führen kann; lockert man die Voraussetzungen ein wenig, zeigen die Berechnungen, dass das mögliche Spektrum erheblich breiter wird. Eine solch empfindliche Abhängigkeit von den Voraussetzungen lässt darauf schließen, dass verfeinerte Berechnungen des Multiversums genauere Kenntnisse über die detaillierten Eigenschaften der einzelnen Universen und ihre Variationsbreite voraussetzen, so dass willkürliche Annahmen durch theoretische Überlegungen ersetzt werden. Dies ist von entscheidender Bedeutung, wenn eine Multiversums-Theorie derzeit einmal konkrete Schlussfolgerungen ermöglichen soll.
Die Wissenschaftler geben sich große Mühe, dieses Ziel zu erreichen, aber bisher ist ihnen das noch nicht gelungen. 8
Vorhersagen im Multiversum IV: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Welche Hürden müssen wir demnach noch aus dem Weg räumen, ehe wir aus einem bestimmten Multiversum genaue Vorhersagen ableiten können? Auffällig sind vor allem drei.
Die erste wird an dem zuvor diskutierten Beispiel besonders augenfällig: Eine Multiversums-Theorie muss uns die Möglichkeit bieten, festzustellen, welche physikalischen Merkmale von einem Universum zum nächsten unterschiedlich sind, und wir müssen die Häufigkeitsverteilung solcher Merkmale im Multiversum berechnen können. Eine entscheidende Voraussetzung dafür sind Kenntnisse über den kosmologischen Mechanismus, durch den das mutmaßliche Multiversum mit Universen bevölkert wird (beispielsweise durch Entstehung von Blasenuniversen im Landschafts-Multiversum). Dieser Mechanismus bestimmt darüber, wie häufig ein Universumstyp im Verhältnis zu einem anderen vorkommt, und damit bestimmt er auch über die Häufigkeitsverteilung der
physikalischen Eigenschaften. Wenn wir Glück haben, wird die so berechnete Verteilung entweder im gesamten Multiversum oder in den Universen, in denen Leben möglich ist, hinreichend einseitig sein und konkrete Vorhersagen ermöglichen.
Wenn wir auf anthropische Überlegungen zurückgreifen müssen, ist eine zweite schwierige Frage mit der zentralen Annahme verbunden, dass wir Menschen den Feld-Wald-und-Wiesen-Durchschnitt darstellen. Leben könnte im Multiversum selten sein, intelligentes Leben noch seltener. Aber unter allen intelligenten Wesen sind wir der anthropischen Annahme zufolge so ganz und gar typisch, dass unsere Beobachtungen den Durchschnitt dessen darstellen, was intelligente Bewohner des Multiversums sehen würden. (Alexander Vilenkin bezeichnet dies als Prinzip der Mittelmäßigkeit ). Wenn wir die Verteilung der physikalischen Eigenschaften in den Universen kennen, die Leben möglich machen, können wir solche Durchschnittswerte berechnen. Aber die Annahme, wir seien typisch, ist heikel. Sollten zukünftige Arbeiten zeigen, dass unsere Beobachtungen für ein bestimmtes Multiversum im Bereich der berechneten Durchschnittswerte liegen, gäbe es für die Überzeugung, dass wir typisch sind – und dass die Multiversums-Theorie stimmt –, immer bessere Gründe. Das wäre spannend. Liegen unsere Beobachtungen außerhalb der Durchschnittswerte, mag das ein Indiz dafür sein, dass die Multiversums-Theorie falsch ist; es könnte aber auch nur bedeuten, dass wir nicht typisch sind. Selbst in einem Wohnviertel, das zu 99 Prozent von
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