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Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Greene
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mehr, sondern nur noch für 100. Jeder Kubikzentimeter enthält also 100 3 = 1 000 000 verschiedene Positionen, in unserem durchschnittlichen Schlafzimmer wären es etwa 100 Billionen. Ob die Fliege diese Auswahl an Möglichkeiten für so eindrucksvoll hält, dass sie sich von unserem Ohr fernhält, lässt sich schwer sagen. Jedenfalls lautet die Schlussfolgerung: Alles außer Messungen mit unendlicher Präzision vermindert die Zahl der Möglichkeiten vom Unendlichen zum Endlichen.
    Nun könnte man entgegnen, dass sich in der Unmöglichkeit, zwischen winzigen räumlichen Abständen oder Geschwindigkeitsabweichungen zu unterscheiden, nichts anderes widerspiegelt als eine technische Begrenzung. Mit dem technischen Fortschritt nimmt die Genauigkeit der Instrumente ständig zu, und damit steigt auch die Zahl der unterscheidbar unterschiedlichen Positionen und Geschwindigkeiten, die einer gut ausgestatteten Fliege zur Verfügung stehen. Hier muss ich mich auf einige Grundlagen der Quantentheorie berufen. Der Quantenmechanik zufolge besteht in einem sehr präzisen Sinn tatsächlich eine grundlegende Beschränkung für die Genauigkeit einzelner Messungen, und diese Beschränkung lässt sich ungeachtet des technischen Fortschritts ganz prinzipiell nicht überwinden – nie. Sie erwächst aus einem zentralen Aspekt der Quantenmechanik: der Unschärferelation .
    Die Unschärferelation besagt: Unabhängig davon, welche Instrumente man benutzt oder welches Verfahren man einsetzt, hat eine Zunahme der Genauigkeit, mit der man eine Eigenschaft misst, einen unvermeidlichen Preis: Man kann eine ganz bestimmte komplementäre Eigenschaft dann automatisch entsprechend weniger genau messen. Ein Musterbeispiel: Man kann mit der Unschärferelation nachweisen, dass die Messung der Geschwindigkeit eines Objekts immer ungenauer wird, je genauer man seine Position misst, und umgekehrt.
    Der klassischen Physik, die den Inhalt unserer meisten Intuitionen über das Funktionieren der Welt bildet, ist eine solche Beschränkung völlig fremd. Aber als groben Vergleich können wir uns vorstellen, wir würden die lästige Fliege fotografieren. Ist die Belichtungszeit kurz genug, erhalten wir ein scharfes Bild, das die Position der Fliege im Augenblick des Schnappschusses festhält. Da
das Foto aber so scharf ist, scheint die Fliege sich darauf nicht zu bewegen; das Bild liefert keine Information über ihre Geschwindigkeit. Verlängern wir die Belichtungszeit, vermittelt das verschwommene Bild zwar einen Eindruck von der Bewegung der Fliege, aber wegen dieser Unschärfe lässt sich ihre Position nur ungenau feststellen. Ein Foto, das über Position und Geschwindigkeit gleichzeitig genaue Informationen liefert, kann man nicht machen.
    Im Rahmen des mathematischen Formalismus der Quantenmechanik formulierte Werner Heisenberg eine genaue Grenze dafür, wie ungenau die gemeinsamen Messungen von Position und Geschwindigkeit zwangsläufig sein müssen. Diese unvermeidliche Ungenauigkeit meint man, wenn man in der Quantenphysik von Unschärfe spricht. In unserem Zusammenhang kann man Heisenbergs Befund auf besonders nützliche Weise formulieren. Wer immer die Position eines Objekts bestimmen möchte, muss dazu Testteilchen auf den Weg schicken – beispielsweise Lichtteilchen, die von dem Objekt zurückgeworfen werden. Ähnlich wie wir zu dem Schluss kamen, ein schärferes Foto erfordere eine kürzere Belichtungsdauer, konnte Heisenberg mit seinen Berechnungen zeigen, dass eine genauere Messung der Position eines Objektes die Benutzung energiereicherer Testteilchen erfordert. Wenn wir unsere Nachttischlampe einschalten, können wir mit den von der Lampe ausgesandten Testteilchen – diffusem, energiearmem Licht – die allgemeine Form von Beinen und Augen der Fliege ausmachen; beleuchten wir sie mit energiereicheren Photonen, beispielsweise mit Röntgenstrahlen (wobei die Photonen-Pulse so kurz sind, dass die Fliege nicht gekocht wird), lässt eine größere Detailschärfe die winzigen Muskeln erkennen, mit denen die Fliege ihre Flügel bewegt. Eine vollkommene Detailschärfe jedoch, so Heisenberg, erfordert Testteilchen von unendlich großer Energie. Und die gibt es nicht.
    Damit liegt die entscheidende Schlussfolgerung auf der Hand. Die klassische Physik macht deutlich, dass eine vollkommene Detailschärfe in der Praxis nicht zu verwirklichen ist. Die Quantenphysik geht noch einen Schritt weiter und weist nach, dass eine vollkommene Detailschärfe

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