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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Deveney
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meinem Gesicht, behutsam, leise, wie fallende Schneeflocken, die nach kurzer Zeit zerschmelzen. Glühende Hitze an der Stelle, an der seine Finger meine Haut berühren. Ich habe Derartiges noch nie empfunden. Ein Kuss, in den ich falle, eine Liebkosung, die mich lockt, mich schwindlig macht. Es ist ein fremdes Land, das ich da betrete, unbekanntes Terrain, und dennoch erlebe ich hier, mir unerklärlich, augenblickliches Erkennen. Meine Augen sind geschlossen, und doch habe ich das Gefühl, er kann hineinsehen und sieht in mir drinnen etwas, von dessen Existenz ich keine Ahnung hatte.
    Ich ertrinke, ich empfinde Begehren, es ist da, gleich unter der Oberfläche, aber ich nehme es nur gedämpft wahr, so als ob Wasser über meinem Kopf zusammenschlägt. Ich gebe mich hin; sich hingeben ist etwas, das ich bis dahin bei mir nicht kannte. Er zieht es aus mir heraus, als würde er das Ende des Seils in den Händen halten, das irgendwo in mir drinnen aufgerollt liegt. Er holt eine seltsame Art von Zärtlichkeit ans Tageslicht, die ganz tief in mir verschüttet war. Sie leuchtet auf, als das Licht auf sie fällt, funkelt und blendet mich, weil meine Augen so etwas noch nie gesehen haben. Er öffnet mich, schneidet mich auf, dringt bei mir vor bis ins Mark. »Karen«, murmelt er.
    Ich halte nicht inne, um diese plötzliche Explosion von Zärtlichkeit zu hinterfragen, sondern nehme sie an, als gehörte sie mir, als stünde sie mir zu, als hätte ich sie verdient, erwartet, mich mein ganzes Leben lang nach ihr gesehnt. Und vielleicht habe ich das auch. Er holt mich heraus aus meinem alten Selbst, und ich schüttle Wut und Einsamkeit und Enttäuschung ab, ich werfe sie ab wie eine alte runzlige Haut. Ich habe noch nie so etwas empf…
    »Karen«, wiederholt er. Und plötzlich läuten schrill meine Alarmglocken. Mein ganzer Kopf ist so voll von Gefühl, dass ich eine Zeitlang brauche, bis ich merke, dass ich ihn küsse, aber er mich nicht wieder küsst. Diese Finger, die anscheinend so zärtlich meine Haut berühren, streicheln mich gar nicht; vielmehr schieben sie mich weg. Er hält mein Gesicht mit beiden Händen umfasst und versucht sachte, sich von mir zu lösen, ohne abweisend zu wirken.
    »Karen, es tut mir leid. Das ist nicht … ich kann das nicht … Carol Ann …«
    Eine Woge der Übelkeit erfasst mich. Tief in mir drinnen regen sich Gefühle, zügeln wie ungebärdige Flammen in mir hoch. Die qualvollste Empfindung dabei ist die Traurigkeit. Diese Erfahrung ist neu für mich, ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Doch diese Traurigkeit ist nur der Kern, der von vielen anderen Emotionen umhüllt wird. Am gefährlichsten ist das Gefühl, zurückgestoßen zu werden. Es schürt die Wut, die weiß in meinem Inneren glüht. Ich spüre, wie sie eine sengende Spur in mir hinterlässt, wie ätzend fließende Säure. Ich höre in meinem Kopf die Stimme von Hammond. Schmerz führt zu Wut. Und Wut führt zu Schmerz . »Du bist überaus attraktiv, aber …«
    Er bemüht sich, höflich zu sein, ist so besorgt um meine Gefühle, dass meine Schmach nur noch größer wird, mich schier überwältigt. Es ist nicht allein, dass er mich zurückweist. Vielmehr hat er Mitleid mit mir. Mitleid löscht mich aus, raubt mir jede Kraft. Reduziert mich zu einem Nichts. Ich werde nicht mehr Opfer sein. Ich will mich auf ihn stürzen. Ich will ihm wehtun, ihn zerstören. Ich will, dass er dafür bezahlen muss. Ich werde mich an ihm rächen.
    Das Gefühl, machtlos zu sein, wirft mich zurück zu den dunklen Schatten, macht mich wieder zu einem jungen Ding von fünfzehn Jahren. Ich schlafe schlecht, habe dunkle Ringe unter den Augen, die vor Müdigkeit brennen. In dieser Woche habe ich dreimal von meinem Vater geträumt. Nun, nicht nur von ihm. Von seinem Rollstuhl. Anfangs ist mir nicht bewusst, dass es der Rollstuhl ist. Er steht im Flur und ist verhängt mit den alten Vorhängen aus dem Wohnzimmer, den Dunkelbraunen mit dem orangeroten Blumenmuster. Die orangefarbenen Blüten hatten einen braunen Stempel, der mich immer an eine Hummel denken ließ. Ein Stachel, der in das Herz der Blütenblätter eingedrungen ist. Das mit Vorhängen verhängte Paket, mit seinen geheimnisvollen Beulen und Vorsprüngen und komischen Zacken steht da wie ein Überraschungsgeschenk.
    Mein Vater kann wieder stehen. Es verblüfft mich zu sehen, dass er nicht mehr im Rollstuhl sitzen muss, dass er wieder Macht bekommen hat. Selbst im Traum habe ich das ungute Gefühl,

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