Die verborgenen Bande des Herzens
auf, mich ihm zu widersetzen. Doch wenn es um meine Kinder geht, würde ich mich sogar mit dem Teufel anlegen. Und so schlage ich dieses Mal nicht die Augen nieder, sondern halte seinem Blick stand. Alex macht auf dem Absatz kehrt und geht aus dem Zimmer.
In jenen Wochen und Monaten ist meine Einsamkeit fast unerträglich. Wir berühren einander nicht, außer wenn es zufällig geschieht, und fahren dann jedes Mal auseinander, fast wie zwei Fremde, die versehentlich in das Territorium des anderen eingedrungen sind. Alex redet nur mit mir, wenn es sich partout nicht mehr vermeiden lässt. Es ist seine Art, mich zu bestrafen.
Ich komme mir hässlich vor. Dick und hässlich. Je kränker Josie wird, desto mehr lege ich an Gewicht zu. Mein ganzes Tun und Treiben scheint darauf ausgerichtet zu sein, irgendwie Trost zu finden. Ich koche nun häufig Kartoffelpüree, schlage es mit Butter und Sahne schön locker, würze es mit geriebenem Käse und Senfkörnern und frisch gemahlenem, schwarzem Pfeffer. Am Morgen, wenn ich die Zeitung holen gehe, kaufe ich beim Dorfbäcker frische Brötchen, innen flaumig und weich wie kleine Kissen, außen mit einer goldgelben Kruste. Und dünne Tafeln Zartbitterschokolade mit Mandelsplittern. Und Plundergebäck, gefüllt mit Aprikosen, mit Honig beträufelt und dicker weißer Zuckerglasur überzogen. Ich kaufe je ein Teilchen für mich und eins für die Kinder, das sie sich teilen sollen. Stevie isst seine Hälfte fast immer ganz auf, aber Josie leckt nur ein bisschen an der Zuckerglasur, knabbert ein wenig an der knusprigen Kruste. Manchmal esse ich ihre angeknabberte Hälfte auch noch auf, und wenn ich dann den leeren Teller vor mir sehe, fühle ich mich schlecht und schäme mich.
Ich sehe keinen Grund, warum ich auf Alex zugehen und den ersten Schritt machen sollte, weil ich in allen anderen Dingen den ersten Schritt machen und stark sein muss. Ich darf ihm nicht die Macht über meine Gefühle überlassen, denn dann werde ich mich ihm fügen müssen, tun müssen, was er will. Und außerdem, wenn ich ehrlich bin, habe ich es allmählich ziemlich satt, gefühlsmäßig so von ihm abzuhängen, so arm und bedürftig zu sein, dass ich ihm quasi mein Leben auf einem Teller darbiete. Aber die Wahrheit ist auch, dass ich mich in dieser ganzen Zeit danach sehne, dass er meine Hand hält, dass er mich nachts in den Arm nimmt und flüstert, alles wird gut. Vielleicht geht es ihm genauso. Vielleicht liegen auch bei ihm die Nerven blank, und er sehnt sich nach Nähe. Doch er sendet keinerlei Signale aus. Ich begreife einfach nicht, wie wir beide uns gleichzeitig so viel und so wenig bedeuten können. Ich verstehe nicht, wie wir beide so wenig Bereitschaft zeigen können, einander zu trösten.
Etwa drei Wochen später liege ich einmal nachts im Bett, hellwach, mit eiskalten Füßen, die einfach nicht warm werden wollen. Alex schläft, doch unvermittelt dreht er sich auf die Seite, dabei streckt sich sein Arm und legt sich quer über meinen Bauch. Dann registriere ich, wie er aufwacht, spüre seine plötzliche Anspannung, als er merkt, wie dicht er neben mir liegt, doch er nimmt seinen Arm nicht weg. Ich rücke noch ein wenig näher, schiebe meine kalten Füße auf seine Bettseite. Einen Moment liegen wir beide stocksteif da, dann hebt er den Arm, umfasst mich und zieht mich zu sich her. Wie zwei Steinfiguren liegen wir da im Dunkeln. Nach einer Weile kommt mir die Dunkelheit nicht mehr wie eine schwarze Decke vor; ich erkenne allmählich Umrisse, den klobigen Schatten des Kleiderschranks in der Ecke, die schlanke Silhouette der Rosenvase auf dem Toilettentisch.
Alex sagt die ganze Zeit kein Wort, doch dann nehme ich an meinem Arm eine winzige Bewegung wahr, sachte drückt sein Daumen in meine Haut. Mein ganzer Körper fängt an zu kribbeln, sehnt sich nach Berührung, weniger nach Sex. Allmählich verstärkt sich die Bewegung, seine Hand streicht über meinen Arm, schiebt sich zu meinen Brüsten vor. Ich merke, dass ich den Atem anhalte, als seine Hand über meinen Bauch gleitet und dann über die Innenseite meiner Schenkel. Ganz sanft, behutsam und so leise wie seine Berührung kehrt die Erinnerung zurück, meine Erinnerung an die Zeit, noch ehe die Kinder geboren waren. Es ist nicht in erster Linie die Leidenschaft, die mir im Gedächtnis geblieben ist, obwohl es sie, weiß Gott, gegeben hat, sondern seine typische Art zu lächeln, mit dem Finger über meine Wange zu streichen, ehe er mich küsste.
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