Die verborgenen Bande des Herzens
die Szene so gut vorstellen, wie ich ihm die Neuigkeit unter die Nase reibe. »Die Sache ist die«, würde ich sagen, mit total unbewegter Miene, in einem Ton, als wäre ich auf einer Beerdigung, »sie hat an dem Tag, an dem sie verschwunden ist, 28.560 Pfund beim Wetten gewonnen.«
»Was?«, würde er ausrufen. » WAS ?«
Ich würde mich beherrschen und nicht losprusten. Dann würde ich voller Verständnis meine Hand auf seinen Arm legen und ihn fragen, ob ich ihm eine Tasse Tee machen soll.
Aber natürlich sind das nur schöne Fantasien, und meine Genugtuung wäre nur von kurzer Dauer. Ich kann es ihm jetzt noch nicht sagen. Und McFarlane darf ich ebenfalls nicht davon in Kenntnis setzen. Es würde ein völlig anderes Licht auf den Fall werfen. Alex würde wissen, dass seine Frau lebt, und McFarlane würde denken, sie wäre mit irgendeinem alternden Julio Iglesias nach Spanien abgehauen und hätte dort mit ihm eine Bar aufgemacht. Mit anderen Worten, Alex würde mir vom Haken gleiten. Und so etwas können wir derzeit überhaupt nicht gebrauchen. Erst muss er noch ein bisschen schmoren, Demut lernen. Man muss die Daumenschrauben anziehen, bis es nicht mehr weiter geht. So lange drehen, bis sie so fest sitzen, dass es weder ein Vor noch ein Zurück gibt. Alex sitzt jetzt dermaßen in der Klemme, dass er über keinerlei Handlungsfreiheit mehr verfügt. In einer Beziehung geht es im Endeffekt immer darum, wer die Kontrolle über den anderen besitzt. Momentan habe ich die Zügel in der Hand und er nicht. Ob er will oder nicht, letztendlich wird er nach meiner Pfeife tanzen.
40. Kapitel
Carol Ann
E ines Abends kommt Michael in McGettigan’s Pub, und es ist nicht so wie früher. Es gibt keine richtige Erklärung dafür, aber ich weiß in dem Moment, als er über die Schwelle tritt, dass sich etwas verändert hat zwischen uns. Ich bin schockiert über die Wirkung, die er auf mich hat; das, was da nun zwischen uns steht, hat sich allmählich aufgebaut, ohne dass ich es wahrgenommen habe. Es ist eine Spannung da. Nun, vielleicht passt Spannung nicht ganz, vielleicht ist es das falsche Wort. Vielleicht trifft ein besonderes Gespür für ihn eher zu. Ich nehme ihn ganz bewusst wahr, und folglich überkommt mich auch eine Gehemmtheit, die schon an Verlegenheit grenzt. Kaum sehe ich ihn zur Tür hereinkommen, macht sich ein Gefühl in meinem Bauch breit, als wäre ein ganzer Schwarm Schmetterlinge auf einmal losgeflogen. Ich nicke ihm zu, fast scheu, und dann wende ich mich rasch weg, weil ich Angst habe, mich durch die Röte, die in meine Wangen steigt, zu verraten.
Ich gehe ans andere Ende des Tresens zu ein paar Stammgästen, um ihre leeren Gläser einzusammeln, nehme mir absichtlich Zeit, lasse mich auf ihr Geplänkel ein. Lächle, lache laut, mache ihr Gefrotzel mit. Michael kommt zu mir an den Tresen. Ich spüre seinen Blick. Ein Kribbeln läuft mir über den Rücken. Ich drehe mich zu ihm.
»Was darf ich dir geben, Michael?«, sage ich und gehe auf ihn zu.
»Tja, ich bin mir noch nicht ganz sicher«, erwidert er.
Ich stehe stumm da und schaue ihn an, betrachte die schwarze Haarlocke, die ihm in die Stirn fällt. Michael hat Haare wie ein Zigeuner. Und grün-graue Augen wie die See, wenn der Wind auffrischt und das Wasser aufwühlt und mit einem dunklen Schleier überzieht.
Es verstört mich, dass ich auf einmal all diese körperlichen Eigenheiten an Michael bemerke, Dinge, die ich längst weiß, die jedoch plötzlich intensiver oder farbiger auf mich wirken, mir mehr ins Auge stechen. Natürlich habe ich immer schon gewusst, dass seine Augen mandelförmig sind, doch nun erscheint mir ihr träger Schwung einfach vollendet. Natürlich ist mir sein breiter Brustkorb aufgefallen und sein flacher Bauch. Bin ich nun tatsächlich im Begriff, mein früheres Leben hinter mir zu lassen? Alex für immer hinter mir zu lassen? Ich rede mir seit Monaten ein, dass Alex in meinem Leben keine Rolle mehr spielt. In diesem Moment glaube ich es wahrhaftig, zum ersten Mal, und diese Tatsache macht mir Angst.
»Ein großes Guinness, bitte.«
Michael schaut mir zu, wie ich das Bier zapfe. Guinness muss langsam eingeschenkt werden. Ich lasse das Glas unter dem Zapfhahn stehen und beschäftige mich in der Zwischenzeit mit etwas anderem. Ich habe das Gefühl, allen im Lokal muss es auffallen, dass jeder Handgriff, den ich tue, nur ein Vorwand ist. Über einen Tresen wischen, der nicht gewischt werden muss. Ein Spülbecken ausspülen,
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