Die verborgenen Bande des Herzens
Lily jetzt von mir wissen. »Josie?«
Alex lässt sich unvermittelt in einen Sessel fallen, als hätte ihn all seine Kraft verlassen, und legt den Kopf in die Hände. »Oh verdammt«, murmelt er.
»Nun?«, setzt Lily nach. »Ist es das?«
»Wissen Sie, Lily«, erwidere ich, »Sie sollten wirklich nicht an der Tür stehen und anderer Leute Gespräche belauschen. Sie könnten etwas hören, was Ihnen nicht gefällt.«
»Glauben Sie wirklich, Sie könnten mir etwas erzählen, was ich noch nicht weiß?« Lily lacht verächtlich. »Nun, was könnte das denn sein, Karen? Dass Sie ein Auge auf unseren Alex hier geworfen haben? Also, das haut mich jetzt glatt von meinem Barhocker. Ich mag zwar Alkoholikerin sein – aber blind bin ich nicht. Und auch nicht senil.«
Aus dem Ausdruck in Alex’ Gesicht schließe ich, dass es das erste Mal ist, dass Lily sich dazu bekennt, alkoholabhängig zu sein.
»Lily, bitte geh jetzt aus dem Zimmer«, sagt er ruhig, doch seine Augen blicken sie dabei voll flehentlicher Verzweiflung an. »Das alles macht es nicht besser.«
»Ich kann viel klarer denken als du, mein Sohn«, erwidert Lily. »Also«, fährt sie fort und deutet mit ihrem Gehstock auf mich, »diese Sache wegen Josie.«
»Sie wissen Bescheid über Josie?«
»Ich weiß, was ich wissen muss. Ich wusste, dass es zwischen ihm und Carol Ann Streit gab. Meine Tochter hat nie … genau … gesagt, was passiert ist, aber ich weiß trotzdem Bescheid. Man muss kein Genie sein …« Sie schaut Alex mit einer Miene an, die man als mitleidig bezeichnen könnte.
»Ich … Lily, ich …«, stammelt Alex.
»Wissen Sie«, sagt Lily zu mir, »er und ich, wir beide haben nicht immer die gleichen Ansichten. Aber er liebte sein Mädchen. Ein Blinder konnte das sehen.« Sie betrachtet ihn nüchtern-scharfsinnig. »Ich wünschte, er hätte sich besser darauf verstanden, mein Mädchen zu lieben.«
Ich wünschte, er hätte sich besser darauf verstanden, mein Mädchen zu lieben. Alex sieht aus, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen, als würde er innerlich zusammenfallen. In den sechs Monaten, die ich ihn nun schon kenne, habe ich ihn nie so bestürzt gesehen, nicht einmal damals, als er unter Tränen über Josie redete.
Lily durchquert das Zimmer, geht an mir vorbei. »Ich muss mich setzen.«
»Bitte«, sagt Alex und steht auf. Er ergreift ihre Hand, kommt ihr zu Hilfe, während sie sich mit einem Seufzer langsam in einen Sessel sinken lässt.
Ich setze mich wieder. Schweigend sehen wir drei uns an.
»Sagen Sie, Karen«, fährt Lily nach einer Weile fort, »was würde geschehen, wenn Ihre Vorgesetzten wüssten, dass Sie sich Alex buchstäblich an den Hals geworfen haben?«
»Lily, um Himmels willen!« Alex wirft den Kopf in den Nacken und atmet laut aus.
»Würden Sie vom Dienst suspendiert werden?«
Ich betrachte forschend die alte Krähe. Sie sitzt zusammengesunken in ihrem Sessel und wirkt winzig inmitten der üppigen Polsterung. Sie redet im leichten Plauderton, als würde sie sich über den Preis von Fisch unterhalten. »Sie wollen doch sicher nicht, dass eines Tages irgend so ein altes Weib auf Ihrem Revier aufkreuzt und böse verworrene Geschichten über Sie verbreitet. Ich finde, Sie sollten jetzt besser gehen, Karen. Ich will nicht, dass Stevie irgendetwas davon mitbekommt.«
Alex nimmt mit einem Ruck den Kopf nach vorn und starrt mit offenem Mund erst Lily an und dann mich.
»Sie hören wieder von mir, Alex«, sage ich und erhebe mich. »Danke, ich finde allein hinaus.«
»Ja, das ist eine gute Idee.« Lily deutet aus den Tiefen ihres Sessels mit dem Stock auf mich. »Gehen Sie«, sagt sie. »Hauen Sie ab.«
Nun ja. In meinem Eifer herauszufinden, was es mit Josie auf sich hatte, hatte ich fast Carol Anns Handy vergessen. Der Akku war leer, und es lag ganz unten in meiner Tasche, aber dann kam ich endlich dazu, die letzte der Nummern zu überprüfen. Und was habe ich entdeckt? Unsere Carol Ann war eine Zockerin, sie liebte es, beim Pferderennen Wetten abzuschließen. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, war sie regelmäßig Kundin bei einem Buchmacher in der Stadt. Und zwar gab sie ihre Wetten telefonisch ab. Wie gern würde ich diese Information brühwarm an Alex weitergeben. Der würde aus allen Wolken fallen. Gott, ich liebe es, wenn Männer dahinterkommen, dass ihre Frau oder Freundin ein Geheimnis vor ihnen hat. Ich liebe es, liebe es, liebe es. Diese selbstgefälligen Dreckskerle.
Ich kann mir
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