Die verborgenen Bande des Herzens
weißt du noch, bei Josies Beerdigung? Erinnerst du dich? Wie wir uns ganz spontan an den Händen fassten?« Ich war davon ausgegangen, dass Alex diese Geste nicht einmal bewusst geworden war.
»Du erinnerst dich also daran?«
Er schaut mich verwirrt an. »Ob ich mich erinnere? Wie hätte ich diesen Moment je vergessen können? Carol Ann, dieses instinktive gegenseitige Bedürfnis – das ist es, was wichtig ist, was zählt. Alles andere ist nur … Gepäck. Okay, manchmal kommt einem das Gepäck zu schwer vor, um es ständig mit sich herumzuschleppen, aber es verbindet uns auch miteinander. Es enthält alles, was wir sind. Wir sind die beiden einzigen Menschen auf der Welt, die wirklich und wahrhaftig verstehen können, was Josie bedeutet hat. Wir sind durch sie aneinander gebunden.« Ich schaue hinunter auf seine Hand, die meine umschließt.
Als Harry die Wahrheit über Alex herausgefunden hatte, erzählte ich ihm, ich könne ihm diese Geschichte von meinem früheren Leben nicht erklären, weil ich nicht wüsste, womit ich beginne sollte. Sollte ich mit Josie anfangen? Mit mir und Alex? Mit unserer ersten Begegnung, als er aus dem Regen flüchtete und sich in einem dampfigen Café an einen Tisch in der Ecke setzte und mich beobachtete? Und jetzt in diesem Moment verstehe ich, warum ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte. In gewisser Weise gab es keinen Anfang. Zu meinem Leben gehört Alex einfach dazu. Er ist zeitlos, alterslos, er ist mein Mann.
Alex liefert die Rechtfertigung für meine Vergangenheit. Er verleiht ihr Sinn und Bedeutung. Alles, was geschehen ist, ist mit ihm verknüpft. Stevie. Sogar Lily. Und natürlich Josie. Josie, die uns liebte und uns entzweite. Josie, die uns fast zerstört hätte, die aber jetzt irgendwie hier bei uns ist, hier in diesem Zimmer, und uns wieder neu zusammenfügt und als ihr Eigen betrachtet. Allein der Gedanke an sie veranlasst mich, die Hand nach Alex auszustrecken und meinen Kopf an seine Schulter zu legen. Sie hat uns entzweit, und jetzt macht sie uns wieder ganz.
Draußen hat es erneut angefangen zu schneien, Flocken stieben gegen die Fensterscheibe und schmelzen augenblicklich, rinnen in einer anderen Zustandsform die Scheibe hinab, winzige Bächlein, die sich unten am Fensterrahmen zu kleinen Pfützen sammeln. Später in der Nacht, wenn die Temperatur sinkt, wird die Wasserlache draußen auf dem Fenstersims wieder zu Eis erstarren. Sie kann wieder sein, was sie einst war, fest und nicht flüssig, aber doch anders. Nicht ganz so wie vorher. Wie Josie, wie der Geist von Josie. Und ich erkenne jetzt, während ich neben dem Mann liege, mit dem ich mein ganzes Leben als erwachsene Frau verbracht habe, während ich den Schneeflocken zuschaue, wie sie gegen die Fensterscheibe wirbeln, wie stark und unverwüstlich die Liebe ist. Selbst wenn sie eine Umwandlung erfährt, kann sie weiter Bestand haben, sie formt sich einfach neu und kann in dieser anderen Gestalt weiterleben.
Es ist Nachmittag, die Zeit, kurz bevor das Licht schwächer wird. Auf dem Weg über den Hügel liegt immer noch zu beiden Seiten Schnee, aber der Strand und die Felsen nahe am Meer sind schneefrei, blank gewischt vom Salzwasser. Weiter hinten bei den Dünen sieht man die vom Eis verklumpten Horste des Strandhafers, aus denen die langen Halme ragen. Das kleine Strandhaus macht nun einen ordentlichen, gepflegten Eindruck, mit seiner blau getünchten Fassade und dem schwarzen Schieferdach, auf dem stellenweise noch Schnee liegt.
Ich bin furchtbar nervös, Alex hierherzuführen und ihm das Haus zu zeigen, denn er hat keine Ahnung, was es für mich bedeutet, dass es sozusagen ein Test ist. Es ist mir wichtig, dass er es versteht. Er muss die Schönheit des Ganzen erkennen, die Möglichkeiten, die es birgt. Wenn er das kleine Haus nur abschätzig betrachtet, mich fragt, was ich mir denn dabei gedacht habe, wie ich in diese Hütte so viel Geld hineinstecken konnte, dann wird das irgendwie ein Zeichen für mich sein.
Die Möwen kreischen, und die Wellen schlagen leise unten an den Strand, als ich das Haus aufsperre und mich einen kurzen Moment frage, ob vielleicht Josie immer noch bei uns ist, ob sie nach uns ruft. Dann fällt die Tür hinter uns ins Schloss, und Stille breitet sich aus. »Boah«, sagt Alex, und seine Blicke wandern durch den Raum. »Das ist ja das reinste Puppenhaus. Hättest du hier tatsächlich wohnen können?« Er geht zum Fenster. »Fantastisch, diese Aussicht hier.«
»Ich liebe
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