Die verborgenen Bande des Herzens
bis mein routinemäßiger Besuch fällig wird. Und so begegne ich Alex zufällig ein paar Tage später, als er gerade sein Büro in der Stadt verlässt. Nun, wenn ich sage, ich begegne ihm zufällig, habe ich dem Zufall natürlich unter die Arme gegriffen. Ich beschatte Alex nach wie vor, ohne dass er die geringste Ahnung davon hat, also parke ich eine Straße von seinem Büro entfernt, setze mich in ein Café, an einen Fensterplatz, und warte.
Alex zu beschatten bedeutet, dass ich seit geraumer Zeit keine Zeit mehr für Gav habe, und da ich keine Lust habe, mich mit Ausreden oder Rechtfertigungen herumschlagen zu müssen, habe ich meinen Lover kurzerhand abserviert. Er wurde ein bisschen unverschämt. Meinte, seine Kumpel hätten sich ohnehin die ganze Zeit gefragt, was er so toll an mir fände. Dumme Säcke allesamt. War mir schon klar, dass die mich nicht leiden konnten.
»An dem Abend, an dem ich dich kennengelernt habe«, sagte Gav, »wusste ich bereits, dass es mit dir nicht so einfach sein wird. Doch damals dachte ich, und so denke ich bis heute, dass noch etwas anderes in dir steckt. Etwas, um das es sich zu kämpfen lohnt. Aber du willst es partout nicht zum Vorschein kommen lassen. Und irgendwann wird es völlig verkümmert sein. Niemand wird es zu Gesicht bekommen, nicht einmal du selbst. Sicher, es wird jede Menge Kerle geben, die mit dir ins Bett gehen wollen, Karen, aber nicht viele, die sich die Mühe machen werden, diese andere Seite in dir aufzuspüren. Falls dir irgendwann in nächster Zeit klar wird, was du hier aufgibst, weißt du ja, wo ich zu finden bin, aber warte damit nicht zu lange.«
Er kommt sich ja so schlau vor, dieser verdammte Amateurpsychologe. Ein Hammond ohne Studium, wo doch derjenige mit dem »Dr.« davor schon schlimm genug ist. Solche Leute wie Gavin, nette Jungs aus der Mittelschicht, die weiß Gott was studiert haben, denken, sie sind schlauer als jemand wie ich, doch diese ganze theoretische Ausbildung ist doch im Grund einen Dreck wert. Menschen wie Gavin haben trotzdem keinen Schimmer, wie es wirklich zugeht in der Welt. Sie haben einfach nicht den nötigen Durchblick. Gavin hat einen Hochschulabschluss in Forensik. Doch davon lasse ich mich nicht beeindrucken, »that don’t impress me much«, um es mit Shania Twain zu sagen, wobei man mir verzeihen möge, wenn ich jemanden zitiere, der solch üble Musik produziert.
Von meinem Fensterplatz in dem Café aus wandern meine Blicke immer wieder die Straße entlang, auf der Suche nach Alex. Ich schätze, er wird an der Ecke gegenüber aufkreuzen und von dort die Straße hinunter zu der Stelle gehen, an der er normalerweise seinen Wagen parkt, deshalb muss ich schnell sein, wenn das Timing klappen soll. Doch wie ich kurz darauf sehe, nimmt er einen anderen Weg. Stattdessen geht er an der Kreuzung geradeaus weiter und dann direkt an meinem Café vorbei. Ich klopfe an die Fensterscheibe, woraufhin er erschrocken zu mir herschaut. Ich winke ihn herein.
»Was tun Sie denn hier?«, fragt er.
»Das spielt jetzt keine Rolle. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Ja, den könnte ich jetzt gut gebrauchen. Ich hole mir einen. Möchten Sie auch noch einen?« Er hängt sein Sakko über die Stuhllehne. Er sieht erschöpft aus.
»Ich nehme noch einen Cappuccino, danke.«
Ich sehe Alex nach, wie er zu der Theke geht und die beiden Kaffees bestellt. Er schenkt der Frau ein vages Lächeln, es ist nicht gerade ein Auftakt zum Flirten, aber es drückt aus, dass er sich der Tatsache, dass sie eine Frau ist, voll bewusst ist. Und dass er davon ausgeht, dass sie sich mit seinem Kaffee besonders viel Mühe geben wird.
»Sie sind ziemlich selbstbewusst, habe ich recht?«, bemerke ich, als er die Tassen auf den Tisch stellt.
»Wie bitte?«
Statt einer Antwort schenke ich ihm ein wissendes Lächeln.
»Worauf wollen Sie jetzt wieder hinaus?«, fragt er, aber ohne wirklich an meiner Antwort interessiert zu sein. Im Gegensatz zu einer Frau, die, würde man so eine vage Charakterisierung ihres Wesens in den Raum stellen, augenblicklich alarmiert wäre und so lange bohren würde, bis sie eine befriedigende Antwort bekäme.
Der Cappuccino ist mit einer Haube aus braun-weißem Milchschaum bedeckt, also schöpfe ich mit meinem Löffel etwas von dem Schaum auf die Untertasse. Ich will Alex schließlich nicht mit einem weißen Milchbart im Gesicht gegenübersitzen.
Alex schüttelt den Kopf.
»Manchmal verstehe ich Sie einfach nicht«, sagt er, und dann
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