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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Deveney
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gesamten Arbeiten und heuert, wenn nötig, zusätzliche Arbeiter an. Er sagt, wenn erst einmal das Dach gedeckt ist, wenn dafür gesorgt ist, dass kein Regen mehr eindringen kann, kann er nach und nach die restlichen Arbeiten angehen. Er scheint nicht zu spüren, dass ich ungeduldig der Fertigstellung entgegenfiebere. Er hat es sich angewöhnt, abends zu uns in McGettigan’s Pub zu kommen und ein Bier zu trinken. Und da sitzt er dann in seiner Ecke und schaut mir zu, wie ich bediene, und plaudert ein bisschen mit mir, wenn ich mal für eine Minute Zeit habe.
    »Sei freundlich zu ihm«, sagt Sean.
    »Zu wem?«
    »Na, deinem Bewunderer«, erklärt Sean und deutet mit dem Kopf in Michaels Richtung. »Er ist ein netter Kerl, aber etwas sensibel, verstehst du?«
    »Was? Red keinen Blödsinn, Sean.«
    »Aber wenn ich’s dir doch sage.« Sean wirft sich sein Geschirrtuch über die Schulter.
    »Ich könnte fast seine Mutter sein.«
    Sean brummelt etwas vor sich hin.
    »Also, so sehe ich das nicht«, erwidert er. »Ich denke eher, dass unser Michael ganz andere Dinge im Sinn hat, als von dir bemuttert zu werden, Cara …« Er widmet sich wieder seinen Gästen.
    »Ja, Davie, was darf ich dir einschenken?«
    Die Vorstellung ist genauso aufregend wie lächerlich. Dass ein Mann mich mit solchen Augen sieht … dass ich wieder das Gefühl haben kann, lebendig zu sein.
    Ich beschäftige mich mit Gläserabwaschen und werfe dabei immer wieder einen verstohlenen Blick in den Gastraum, betrachte neugierig die dunklen Locken, die sich über Michaels Kragen ringeln, die dünne kreideweiße Staubschicht auf seinem Arbeitshemd, die dunklen Härchen auf seinem Unterarm, wo er die Ärmel hochgerollt hat. Er ertappt mich, und sofort fliegt mein Blick woanders hin, und ein Fleck von der Farbe von Portwein wandert meinen Hals hoch.
    Die Vorstellung, sich ein neues Leben aufzubauen, war für mich schon immer gleichbedeutend mit einer Flucht aus dem alten Leben. Doch eines Tages kommt mir plötzlich der Gedanke, dass mein neues Leben wieder eine Falle ist. Ich kann nie mehr uneingeschränkt ehrlich zu jemandem sein. Ich darf nichts über mich herauslassen, weil ich selbst nicht mehr weiß, wer ich eigentlich bin. Dieser Gedanke, dass ich wieder in einer Falle sitzen könnte, beschäftigt mich. Eine immer größere Verwirrung macht sich in meinem Kopf breit, äußert sich schließlich in dumpfen, pochenden Kopfschmerzen, die tagelang anhalten. Die Gitterwände meines neuen Lebens schließen sich ratternd um mich.
    Harry merkt es. Ich denke, er glaubt, es hat mit der Trauer um meinen verstorbenen Mann zu tun und dass er mich dazu ermuntern muss, darüber zu reden. »Cara, ich hab dir das von Patsy erzählt. Aber du hast nie … nie über deinen verstorbenen Mann geredet.«
    Ich ziehe scharf die Luft ein. Einen kurzen Moment setzt mein Herzschlag aus.
    »Was soll ich denn sagen?«, frage ich.
    »Ich kann gut zuhören.«
    Ich schaue Harry ins Gesicht und lese Mitgefühl und Verständnis. Die Last des schlechten Gewissens, das ich bekomme, wenn mir jemand mit Verständnis begegnet, ist unerträglich. Je näher man einem anderen Menschen kommt, desto schlimmer wird das Gefühl, wenn man ihn anlügt.
    »Ich weiß, Harry, danke.«
    Harry schaut mich weiter an, und ich weiß, mein Dank reicht ihm nicht. Er wartet ab. Er erwartet, dass ich zu reden anfange. Meine Schicht bei McGettigan’s ist zu Ende, und da Harry heute Gast bei uns ist, bleibe ich noch auf einen Drink mit ihm. Wir setzen uns in eine verstaubte Ecke des Pubs, fern von den Stammgästen.
    »Er hieß … Alex«, fange ich an.
    Harry nickt bloß mit dem Kopf.
    »Wir lernten uns vor gut zwanzig Jahren kennen. In einem Café in der Byres Road in Glasgow. Ich war Studentin.«
    Ich arbeitete auch gleichzeitig als Bedienung in dem Café, aber das sage ich Harry nicht. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, alles Mögliche zu überspringen, zermartere mir das Hirn, was ich ihm erzählen kann aus meinem alten Leben, ohne allzu viel preiszugeben, ohne mir selber ein Bein zu stellen.
    »Es regnete«, fahre ich fort, überflüssigerweise, und Harry lächelt.
    Der Regen peitscht ohne Unterlass gegen die Scheiben, innen sind die Fenster beschlagen von der feuchten Luft. Auf dem Boden unterhalb der dunklen Wandverkleidung aus Holz bilden sich kleine Wasserpfützen von den tropfenden Schirmen, die man gegen die Wand gelehnt hat. Das Zischen der Kaffeemaschinen bildet das Hintergrundgeräusch zu dem

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