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Die verborgenen Fruechte

Die verborgenen Fruechte

Titel: Die verborgenen Fruechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaïs Nin
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beschlossen, ein Altersheim aus dem Haus zu machen.
    So wanderte Manuel durch die Straßen, bis er eines Tages ein Schild entdeckte: Zu vermieten. Man zeigte ihm zwei Dachkammern, die zwar wie ein Elendsquartier aussahen, doch eines der Zimmer hatte eine Terrasse, und als Manuel auf diese Terrasse hinaustrat, schlug ihm der Lärm spielender Kinder entgegen. Auf der anderen Straßenseite lag eine Schule, und die Mädchen verbrachten die Pause auf dem Hof unmittelbar unterhalb seiner Terrasse.
    Mit glühenden Wangen und aufkeimendem Lächeln sah Manuel ihnen eine Weile zu. Ein leichtes Zittern überfiel ihn, wie bei einem Mann, den große Freuden erwarten. Am liebsten hätte er die Wohnung sofort bezogen, doch als er Thérèse am Abend überredet hatte, mit ihm zu kommen und sie sich anzusehen, fand sie dort nichts weiter als zwei unbewohnbare, schmutzstarrende und verwahrloste Kammern. Immer wieder sagte Manuel: »Aber hier ist wenigstens Licht, hier habe ich das richtige Licht zum Malen; und außerdem gibt es eine Terrasse.« Thérèse antwortete achselzuckend: »Ich will aber nicht hier wohnen.«
    Da wurde Manuel zum Handwerker. Er kaufte Farbe, Kleister, Holz. Er mietete die beiden Zimmer und machte sich daran, sie zu renovieren. Er hatte nie gern gearbeitet, doch diesmal nahm er sich vor, die beste Zimmermanns- und Anstreicherarbeit zu leisten, die man jemals gesehen hatte, um die Wohnung schön genug für Thérèse zu machen. Während er strich, reparierte, klebte und hämmerte, hörte er auf dem Schulhof unten auf den richtigen Augenblick. Er erging sich in Phantasievorstellungen darüber, wie sein Leben in dieser Wohnung, gegenüber der Mädchenschule, wohl aussehen würde.
    Innerhalb von zwei Wochen war die Wohnung verwandelt. Die Wände leuchteten schneeweiß, die Türen schlossen, die Schränke konnten benutzt werden, die Löcher im Fußboden waren verschwunden. Dann holte er Thérèse. Sie war überwältigt und sofort zum Umzug bereit. Innerhalb eines Tages wurden ihre Habseligkeiten auf einem Karren gebracht. In dieser neuen Wohnung, erklärte Manuel, könne er malen, weil er genügend Licht habe. Fröhlich und völlig verändert tanzte er in den Zimmern umher. Thérèse war glücklich, als sie ihn so sah.
    Am nächsten Morgen, als ihre Sachen immer noch erst zur Hälfte ausgepackt waren und sie ohne Bettwäsche geschlafen hatten, begab sich Thérèse zu ihrem Trapeztraining und überließ Manuel das Aufräumen. Statt jedoch auszupacken, verließ er das Haus und ging zum Vogelmarkt, wo er das Geld, das Thérèse ihm für den Einkauf von Lebensmitteln gegeben hatte, für einen Käfig und zwei tropische Vögel ausgab. Dann kehrte er nach Hause zurück und hängte den Käfig draußen auf die Terrasse. Eine Weile blickte er zu den spielenden Kindern hinab und genoß den Anblick der Mädchenbeine unter den flatternden Röcken. Wie sie bei ihren Spielen übereinanderfielen, wie ihre Haare beim Laufen flogen! Schon begannen sich die Rundungen der winzigen, knospenden Brüste abzuzeichnen. Sein Gesicht war gerötet; er säumte nicht länger. Manuel hatte einen Plan, der zu perfekt war, um ihn noch aufzugeben. Drei Tage lang gab er das Lebensmittelgeld für alle möglichen Vögel aus, die Terrasse wimmelte nur so von ihnen.
    Jeden Morgen um zehn ging Thérèse zu ihrem Training, und die Wohnung war voller Sonnenlicht, voll Lachen und den fröhlichen Rufen der kleinen Mädchen.
    Am vierten Tag trat Manuel auf die Terrasse hinaus. Um zehn hatten die Kinder große Pause. Der Schulhof war belebt. Für Manuel war es eine Orgie von Beinen und kurzen Röckchen, unter denen man beim Spielen die weißen Höschen hervorblitzen sah. Fieberhafte Erregung packte ihn, als er da zwischen den Vögeln stand, doch schließlich hatte sein Plan Erfolg: Die kleinen Mädchen blickten zu ihm empor.
    »Kommt doch herauf und seht sie euch an!« rief Manuel. »Ich habe Vögel aus der ganzen Welt. Sogar einen aus Brasilien, der einen Affenkopf hat.«
    Die Kinder lachten, doch nach der Schule kamen ein paar von ihnen, von Neugier getrieben, zu ihm in die Wohnung heraufgelaufen. Da Manuel fürchtete, Thérèse könne plötzlich auftauchen, zeigte er ihnen tatsächlich nichts als die Vögel, über deren bunte Schnäbel, Possen und seltsame Laute sie sich amüsierten. Er ließ sie ruhig schwatzen und staunen, damit sie sich an die Umgebung gewöhnten.
    Als Thérèse um halb zwei nach Hause kam, hatte er den Mädchen das Versprechen abgenommen,

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