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Die verborgenen Fruechte

Die verborgenen Fruechte

Titel: Die verborgenen Fruechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaïs Nin
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und Geschwindigkeit, die sie nicht erwartet hätte, ihren Rock so herum, daß sich die Öffnung hinten befand. Inmitten dieser wogenden Menge fühlte sie jetzt nichts mehr als den Penis, der sich langsam durch den Schlitz ihres Rockes schob.
    Ihr Blick blieb auf den Mann gerichtet, der das Schafott erklomm, und der Penis gewann mit jedem Schlag ihres Herzens ein wenig mehr Boden. Er hatte sich durch den Rock geschoben und teilte nunmehr den Schlitz ihres Höschens. Wie warm und fest und hart er an ihrem Fleisch war! Der Verurteilte stand auf dem Schafott; die Schlinge wurde ihm um den Hals gelegt. Der Schmerz, den sein Anblick auslöste, war so stark, daß die fleischliche Berührung eine Erleichterung war, etwas Warmes, Tröstendes. Ihr schien, daß dieser Penis, der zwischen ihren Gesäßhälften pulsierte, etwas ganz Wunderbares war, das man festhalten mußte, das Leben, das Leben, das sie festhalten mußte, während sie vom Tod gestreift wurde…
    Ohne ein Wort legte der Russe den Kopf in die Schlinge. Ihr Körper erbebte. Der Penis schob sich tiefer zwischen die weichen Falten ihrer Gesäßbacken, drängte unaufhaltsam in ihr Fleisch.
    Sie zitterte vor Angst, aber es war das Zittern des Begehrens. Als der Verurteilte ins Leere und in den Tod stürzte, begann der Penis in ihr heftig zu zucken und spie sein warmes Leben aus.
    Die Menge preßte den Mann gegen sie. Sie hatte fast aufgehört zu atmen, und als ihre Angst sich in Glück verwandelte – ungezügeltes Glück darüber, das Leben zu spüren, während ein Mensch starb –, wurde sie ohnmächtig.
    Nach dieser Geschichte schlummerte Louis ein. Als er erwachte, erfüllt von sinnlichen Träumen, vibrierend unter einer imaginären Umarmung, sah er, daß die Frau fort war. Er vermochte ihren Spuren im Sand zu folgen; nach einer Weile aber verschwanden sie in dem bewaldeten Teil, der zu den Hütten führte, und so hatte er sie wieder verloren.

Lina



Lina ist eine Lügnerin, die es nicht ertragen kann, ihr wahres Gesicht im Spiegel zu sehen. Sie besitzt ein Gesicht, das ihre Sinnlichkeit verrät: blitzende Augen, gieriger Mund und herausfordernder Blick. Statt jedoch ihrer erotischen Neigung nachzugeben, schämt sie sich ihrer. Erstickt sie. Und all diese Begehrlichkeit, diese Wollust in ihr wird verzerrt und verbogen zu einem Giftstoff aus Neid und Eifersucht. Wann immer die Sinnlichkeit erblüht, wird sie von Lina gehaßt. Lina ist eifersüchtig auf alles, auf die Liebe aller anderen Menschen. Sieht sie in den Straßen von Paris, in den Cafés, im Park, wie Pärchen einander küssen, ist sie eifersüchtig. Sie mustert sie mit seltsam zornigen Blicken. Sie wünscht sich, daß niemand lieben kann, weil sie selber es nicht vermag.
    Sie kaufte sich ein schwarzes Spitzennachthemd, wie ich es besitze. Dann kam sie zu mir, um ein paar Tage bei mir zu bleiben. Sie behauptete, das Nachthemd für einen Liebhaber gekauft zu haben, aber ich sah das Preisschildchen, das noch daran baumelte. Sie bot einen hinreißenden Anblick, denn sie war wohlgerundet, und in der Öffnung ihrer weißen Bluse zeigten sich ihre Brüste. Ich sah, wie sich ihr ungestümer Mund öffnete, wie das ungebändigte Lockenhaar eine Aureole um ihren Kopf bildete. Jede ihrer Gesten sprach von Chaos und Gewalttätigkeit. Als hätte eine Löwin das Zimmer betreten.
    Zunächst einmal erklärte sie mir, wie sehr sie Hans und Michel, meine beiden Liebhaber, hasse. »Aber warum?« fragte ich sie. »Warum denn nur?« Ihre Begründungen waren konfus, unzureichend. Ich war betrübt. Denn das bedeutete heimliche Zusammenkünfte mit den beiden. Welche Unterhaltung konnte ich Lina bieten, solange sie in Paris weilte? Was wollte sie?
    »Einfach nur mit dir zusammen sein.«
    So waren wir also eine auf die Gesellschaft der anderen beschränkt. Wir saßen in Cafés herum, wir gingen einkaufen, wir gingen spazieren.
    Es gefiel mir, wenn sie sich für den Abend zurechtmachte, mit ihrem auffallenden Schmuck und dem lebhaften Gesicht. Sie paßte nicht zu dem vornehmen Paris, in die Cafés. Sie war wie für den afrikanischen Dschungel geschaffen, für Orgien, Tänze. Aber sie war kein freier Mensch, der sich von den natürlichen Wellen des Vergnügens und des Verlangens tragen ließ. Waren ihr Mund, ihr Körper, ihre Stimme wie für die Sinnlichkeit geschaffen, so war diese in ihrem natürlichen Fluß behindert. Zwischen den Beinen war sie von einem unnachgiebigen Pfahl des Puritanismus durchbohrt. Alles andere an ihrem

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