Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verborgenen Fruechte

Die verborgenen Fruechte

Titel: Die verborgenen Fruechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaïs Nin
Vom Netzwerk:
hätte ihn dieser Ausflug beinahe das Leben gekostet.
    Diese Geschichte hatte Laura geängstigt: die Vorstellung, ein Tier könne den Kopf zwischen ihre Beine stecken. Sie mochte ja nicht einmal den eigenen Finger hineinstecken. Gleichzeitig aber zeigte ihr die Geschichte, daß es zwischen den Beinen einer Frau Platz genug gab für eine überlange Tierschnauze.
    Dann, eines Tages während der Ferien, als sie mit anderen Freundinnen auf dem Rasen spielte und sich zurücklehnte, um über diese oder jene Geschichte zu lachen, war plötzlich ein riesiger Polizeihund über ihr, schnupperte und roch an ihren Kleidern und steckte ihr seine Nase zwischen die Beine. Laura schrie auf und stieß ihn weg. Das Gefühl hatte Angst und Erregung zugleich in ihr geweckt.
    Und jetzt lag Laura auf einem breiten, niedrigen Bett, die Röcke zerdrückt, die Haare gelöst und Rouge um ihren Mund verschmiert. Neben ihr lag ein Mann, doppelt so schwer und doppelt so groß wie sie und wie ein Arbeiter in Kordhose und Lederjacke gekleidet, die er geöffnet hatte, so daß man seinen nackten, von keinem Hemdkragen eingeengten Hals sehen konnte.
    Sie drehte sich ein wenig zur Seite, um ihn zu betrachten. Sie sah, daß seine hohen Wangenknochen so geformt waren, daß er ständig zu lachen schien, und daß seine Augen an den äußeren Winkeln scheinbar humorvoll emporgezogen waren. Sein Haar wirkte ungepflegt, seine Bewegungen beim Rauchen waren lässig.
    Jan war ein Künstler, der über den Hunger lachte, über die Arbeit, über die Sklaverei, über alles. Er lebte lieber wie ein Gammler, statt nicht mehr aufstehen zu können, wann er wollte, essen zu können, was er gerade fand und wann es ihm paßte, malen zu können, wann immer die Arbeitslust ihn überkam.
    Das Zimmer war angefüllt mit seinen Werken. Die Farbe auf seiner Palette war noch feucht. Er hatte Laura gebeten, für ihn zu posieren, und die Arbeit mit großem Eifer begonnen, wobei er sie nicht als Person betrachtete, sondern sich auf ihre Kopfform konzentrierte und darauf, wie dieser Kopf auf einem Hals ruhte, der viel zu schlank für sein Gewicht zu sein schien und ihr die Aura einer beinahe beängstigenden Zerbrechlichkeit verlieh. Sie hatte sich aufs Bett geworfen, und dann hatte er an ihrer Pose zu arbeiten begonnen. Sie blickte zur Decke.
    Das Haus war alt, mit abgeblätterter Farbe und unregelmäßigem Verputz. Als sie hinaufblickte, begann der rauhe Putz mit seinen vielen Rissen Gestalt anzunehmen. Sie lächelte. Dort oben, in den wirren Linien und Spalten, erkannte sie alle möglichen Formen.
    Zu Jan sagte sie: »Wenn du mit deiner Arbeit fertig bist, möchte ich, daß du mir eine Zeichnung an der Decke machst, eine Zeichnung, die eigentlich schon da ist, jedenfalls, wenn du siehst, was ich sehe… «
    Jan war neugierig geworden, und außerdem hatte er keine Lust mehr zur Arbeit. Er hatte jenes frustrierende, schwierige Stadium der Füße und Hände erreicht, das er so haßte; nie konnte er sie richtig festhalten, deswegen versteckte er sie oft, wie Hände und Füße eines Krüppels, in einer Wolke formloser Hüllen und ließ die Zeichnung so, wie sie war, nur Körper, ein Körper ohne Füße zum Weglaufen und ohne Hände zum Streicheln.
    Er wandte sich dem Betrachten der Decke zu. Dazu streckte er sich neben Laura aufs Bett und blickte interessiert empor, suchte die Formen, die sie erkannt hatte, und folgte den Umrissen, die sie mit dem Zeigefinger andeutete.
    »Siehst du, da? Siehst du die Frau, die da liegt?«
    Jan richtete sich ein wenig auf – da es sich um eine Dachkammer handelte, war die Decke in dieser Ecke sehr niedrig – und begann mit dem Kohlestift auf dem Verputz zu zeichnen. Zuerst skizzierte er Kopf und Schultern der Frau, dann fand er die Umrisse der Beine, die er bis zu den Zehen hinab vervollständigte.
    »Der Rock! Der Rock! Ich sehe den Rock!« sagte Laura.
    »Ich sehe ihn auch.« Jan zeichnete einen Rock, der eindeutig hochgeschlagen war und der Beine und Schenkel freilegte. Dann schwärzte Jan das Haar rings um ihr Geschlecht so sorgfältig, als male er Grashalm um Grashalm, und detaillierte die zusammenlaufende Linie der Beine. Und da lag die ganze Frau, schamlos offen, an der Zimmerdecke, wo Jan sie in Ruhe betrachten konnte – mit einer kleinen erotischen Reaktion, die Laura in seinen Augen entdeckte, und die sie eifersüchtig machte.
    Um ihn zu ärgern, weil er die Frau betrachtete, sagt sie: »Direkt daneben sehe ich ein Tier, das aussieht wie

Weitere Kostenlose Bücher