Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verborgenen Fruechte

Die verborgenen Fruechte

Titel: Die verborgenen Fruechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaïs Nin
Vom Netzwerk:
eines Portugiesen gewesen, der die Wände mit bemaltem Leder bespannt hatte. Das Bett war, ähnlich wie Schiffskojen, ganz hinten im Wagen hängend befestigt. Die Fenster waren mit maurischen Bögen versehen. Die Decke war so niedrig, daß man nur mühsam stehen konnte.
    Bei der Party am ersten Abend forderte Rango Hilda nicht zum Tanzen auf, obwohl seine Freunde die Musik machten. Das Licht im Atelier war gelöscht worden, weil von der Straße her ausreichend Licht hereinfiel, und viele Pärchen standen, die Arme umeinander gelegt, auf dem Balkon. Die Musik war träge und schmelzend.
    Rango stand vor Hilda und starrte sie an. Dann fragte er sie: »Möchtest du Spazierengehen?« Hilda bejahte. Rango schlenderte einher, die Hände in den Taschen, eine Zigarette im Mundwinkel. Er war jetzt nüchtern, sein Kopf so klar wie die Nacht. Er schlug die Richtung zum Stadtrand ein. Sie kamen an die Hütten der Lumpensammler, kleine, windschiefe Buden, mit schrägem Dach und ohne Fenster: Durch die Spalten der Bretter und die roh zusammengehauenen Türen kam genügend Luft herein. Die Wege waren ungepflastert.
    Ein bißchen weiter hinten stand eine Reihe Zigeunerwagen. Es war vier Uhr früh, und die Menschen schliefen. Hilda war schweigsam. Sie ging in Rangos Schatten mit dem überwältigenden Gefühl, aus sich herausgeholt zu werden, keinen Willen zu haben, nicht zu wissen, was mit ihr geschah, mit einem Gefühl des Dahintreibens.
    Rangos Arme waren nackt. Hilda wußte nur noch eines: daß sie von diesen nackten Armen gepackt werden wollte. Er bückte sich und betrat seinen Wagen. Er entzündete eine Kerze. Er war zu groß für diesen niedrigen Raum, doch da sie kleiner war als er, konnte sie aufrecht stehen.
    Die Kerzen warfen riesige Schatten. Sein Bett war aufgeschlagen, nichts weiter als eine Wolldecke. Überall waren Kleider verstreut. Es gab zwei Gitarren. Er nahm eine und begann, inmitten seiner Kleider sitzend, zu spielen. Hilda hatte ein Gefühl, als träume sie, dürfe den Blick nicht von diesen nackten Armen, von dieser Kehle wenden, die unter dem offenen Hemd zu sehen war, daß er nur dann fühle, was sie empfand, die gleiche magnetische Anziehungskraft.
    Im selben Moment, da sie vermeinte, ins Dunkel, in sein goldbraunes Fleisch zu fallen, warf er sich auf sie, bedeckte sie mit seinen Küssen, mit seinen heißen, raschen Küssen, die er mit seinem Atem füllte. Er küßte sie hinter den Ohren, auf die Lider, auf den Hals, auf die Schultern. Sie war geblendet, betäubt, fast besinnungslos. Jeder Kuß schürte, wie ein Schluck Wein, die Hitze in ihrem Körper. Jeder Kuß steigerte die Glut seiner Lippen. Aber er machte keine Anstalten, ihr Kleid zu heben oder sie auszuziehen.
    So lagen sie sehr lange da. Die Kerze war ausgebrannt. Sie zischte und verlosch. Im Dunkeln fühlte sie, wie seine glühende Trockenheit sie umfing – trocken und heiß wie Wüstensand.
    Und dann machte Hilda, in ihrem Traum und der Trunkenheit seiner Küsse gefangen, jene Geste, die sie schon so oft gemacht hatte: Ihre Hand tastete nach seinem Gürtel mit der kalten Silberschnalle, fühlte unterhalb des Gürtels die Hosenknöpfe, spürte sein Verlangen.
    Doch unvermittelt stieß er sie von sich, als hätte sie ihn verbrannt. Er stand auf, schwankte ein wenig, und entzündete eine neue Kerze. Sie verstand nicht, was vorging. Sie sah, daß er zornig war. Sein Blick war wütend. Seine Wangen mit den hohen Jochbögen, die immer zu lächeln schienen, lächelten nicht mehr. Die Lippen hatte er fest zusammengepreßt.
    »Was habe ich getan?« fragte sie ihn.
    Er wirkte wie ein wildes, scheues Tier, dem man Gewalt angetan hat. Er wirkte gedemütigt, gekränkt, stolz, unberührbar. Sie wiederholte: »Aber was habe ich getan?« Sie wußte, daß sie etwas getan hatte, was sie nicht hätte tun sollen. Sie wollte ihm klarmachen, daß sie unschuldig war. Er lächelte ironisch über ihre Blindheit. »Du hast die Geste einer Hure gemacht«, sagte er. Tiefe Scham, das Gefühl, zutiefst verletzt worden zu sein, überfiel sie. Die Frau in ihr, die darunter gelitten hatte, daß sie gezwungen war, zu handeln, wie sie es bei ihrem anderen Liebhaber getan hatte, die Frau, die so oft gezwungen worden war, ihre wirkliche Natur zu verleugnen, daß es ihr zur Gewohnheit geworden war, diese Frau begann nun haltlos zu weinen. Ihre Tränen berührten ihn nicht. Als sie sich erhob, sagte sie: »Auch wenn es das letztemal ist, daß ich hier bin, möchte ich dir etwas sagen.

Weitere Kostenlose Bücher