Die verbotene Pforte
Herrschaften offenbar nicht fremd genug.«
»Die Yndalamorier halten dich in dem Spiegel gefangen?« Endlich hatte Tobbs seine Stimme wiedergefunden. Doch sie klang leiser und etwas tiefer, als würde der Raum um ihn herum sie erst formen.
Mamsie Matata trat neben ihn und blickte aus dem Spiegel. Ihre Stimme klang warm und freundlich, als sie weitersprach.
»Das ist die Stadt der Spiegel, mein Junge. Wir in den Spiegeln sind alle Gefangene. Alle, die am falschen Ort starben oder zur falschen Zeit, alle, die auf der Reise zu ihrem nächsten Körper trödelten – nun, sie fristen ihr Dasein als Spionspiegel.«
»Spionspiegel?«
Mamsie Matata tippte ihm mit der Fingerspitze an die Brust. Es fühlte sich wie ein kalter Windhauch an und ihre Hand versank in dem schwarzen Nebel, der nun Tobbs’ Körper war. »Nur beseelte Spiegel zeigen die wahre Gestalt ihres Gegenübers. Das Äußere lässt sich so leicht verändern – eine Prise Magie oder eine Maske genügen. Doch die Spionspiegel kann man nicht belügen.«
»Wurden deshalb Spiegel auf den Dächern der Stadt angebracht?«
Mamsie Matata nickte. »Kluger Junge. Die Feinde der Stadt kommen aus der Luft und sie beherrschen viele Tricks der Verwandlung. Mal nähern sie sich als liebliche fliegende Frauen, mal geben sie vor, einfach nur große Vögel zu sein. Doch die Spionspiegel zeigen ihre wahre Gestalt und schicken das Bild über weitere Spiegel hinunter in die Gassen und Häuser. Dann wissen die Menschen, dass sie sich in Sicherheit bringen müssen. ›Spiegelwender‹ ist in dieser Stadt ein angesehener Beruf.«
Tobbs starrte sein eigenes, eingefrorenes Gesicht in der wirklichen Welt an. Über den Dächern der Stadt hatte er sich selbst im Spiegel nicht gesehen, aber Sid hatte er in der dämonischen Gestalt erblickt, die ihm wirklich entsprach. Und der Mancor … irgendetwas an seinem Spiegelbild war ebenfalls anders gewesen.
»Du hast traurige Augen«, sagte Mamsie Matata. »Ich sehe einen sehr alten Kummer darin.«
Das Mitgefühl in ihrer Stimme brachte Tobbs noch mehr aus der Fassung, er musste schlucken, damit ihm nicht die Tränen in die Augen stiegen. Sein ganzes Elend brach über ihn herein. Er würde seinen Geburtstag verpassen! Und nicht nur das: Er war viel zu weit weg von dem einzigen Ort, an dem seine Eltern ihn finden konnten.
»Ich muss hier weg«, brachte er mühsam heraus. »Ich muss zurück – in die Taverne, in der ich lebe. Es ist nur ein blöder Zufall, dass ich hierhergekommen bin.«
»Das ist es immer«, sagte Mamsie Matata. »Der Tod kommt immer ungerufen, glaube mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Beim Wort »Tod« zuckte Tobbs zusammen. »Für eine Tote wirkst du aber sehr lebendig.«
»Das kann nur ein Lebender sagen!« Matatas Lächeln war verschwunden, sehnsuchtsvoll sah sie in den Tempelraum. Tobbs folgte ihrem Blick und betrachtete die Gesichter in all den anderen Spiegeln. Das mulmige Gefühl wurde zu einer grässlichen Gewissheit.
»Sie wollen mich auch in einen solchen Spiegel sperren, nicht wahr?«
Mamsie Matata seufzte.
»Verstehst du es immer noch nicht? Sie werden dich töten, mein Junge. Und deine Seele wird in keinen Spiegel flüchten, sie wird geopfert, um von den Feinden der Stadt verschlungen zu werden. Du bist nicht nur tot, du wirst aufhören zu existieren. Aus. Ende. Von der Welt radiert für immer.«
Tobbs musste sich setzen.
»Wer sind denn … diese Feinde?«, stammelte er.
Mamsie Matata sah ihn erstaunt an. »Du bist wirklich nicht aus dieser Gegend. Die Schwärme natürlich! Die Helferinnen der Göttin dort.« Mit ihrem Kinn deutete sie in Richtung von Kalis Statue. »Oft sieht man sie in der Gestalt von Frauen. Aber die Stadt der Spiegel greifen sie meist als Vögel an.«
Tobbs blinzelte und versuchte sich daran zu erinnern, ob Dopoulos ihm jemals von den Helferinnen erzählt hatte. Er hatte nicht.
»Sie fressen Menschenfleisch und verschlingen Seelen«, half Matata seinem Gedächtnis auf die Sprünge.
Er schloss die Augen und vergrub den Kopf in den Armen. In einem fremden Land ausgelöscht – von Kalis Helferinnen. Das durfte einfach nicht wahr sein!
»Das wird … Kali niemals zulassen«, flüsterte er. »Sie kennt mich und …«
»Scht! Niemals spricht man hier ihren Namen aus, hast du verstanden? Wenn man ihren Namen nennt, riskiert man, dass sie die Stadt angreift und zerstört. Hast du denn nicht gehört, was sie mit der silbernen Stadt Ghan gemacht hat? Sie reitet auf einer
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