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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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seiner Jacke. Ob es noch da war?
    Rasch ließ er die Hand unter seine Jacke gleiten. Seine Finger blieben in etwas Weichem hängen. Erschrocken zog er die Hand heraus – und sah, dass seine Finger sich in einer Schlaufe aus blauem Garn verfangen hatten. Anguanas Glücksfaden! Natürlich, das erklärte alles. Der Eichenast, die Geschosse, die ihn knapp verfehlten, der Wagen, der genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, um ihn sicher aufzufangen – all das hatte er Anguanas Geburtstagsgeschenk zu verdanken! Plötzlich schämte er sich dafür, die Gabe des Mädchens so herablassend angenommen zu haben. Doch nun machte ihm ihr Geschenk wieder Mut. Vielleicht war noch etwas Glück übrig?

DAS OPFER
    Ein dumpfes Geräusch ließ Tobbs aufblicken. Es kam von außerhalb und hörte sich an wie …. Getrampel. Die Mäuse hatten aufgehört, auf dem Eichenast herumzuturnen, und schnupperten in Richtung eines mannsgroßen Spiegels, der an der gegenüberliegenden Wand hing. Tobbs steckte Anguanas Faden hastig ein und kam auf die Beine.
    Es begann damit, dass der Spiegel trüb wurde, als wäre er plötzlich von Raureif überzogen. Dann durchstieß ein bloßer Fuß, der mit roten Ranken bemalt war, die frostige Fläche. Schon folgten Knie und Schulter. Im nächsten Augenblick betrat mitten durch den Spiegel ein Mann mit kahl geschorenem Kopf den Tempelraum.
    Er sah streng aus, was vermutlich an seinen über der Nase zusammengewachsenen, kohlschwarzen Augenbrauen lag. Seine Stirn zierte die Zeichnung eines Dolches. Wie Mamsie Matata trug auch er ein Tuch um den Körper geschlungen, allerdings war es ein grünes. Eine zweite Gestalt durchstieß den Spiegel – eine junge Frau mit kupferrotem Haar, das kurz geschnitten und an den Spitzen blau eingefärbt war.
    »Das ist er?«, fragte der Mann.
    »Das ist er«, antwortete die Rothaarige.
    »Hallo«, sagte Tobbs. Die beiden hoben konsterniert die Brauen, als hätte er sich eine ungeheure Unhöflichkeit geleistet, setzten dann aber ihre Unterhaltung fort.
    »Kein Spiegelbild, interessant«, bemerkte der Mann. »Sieht aber aus wie ein Mensch.«
    »Mit übermenschlichem Glück. Die letzten vom Himmel Gefallenen mussten wir vom Dach aufsammeln.«
    »Ist doch gut, dass die Schwärme zur Abwechslung einmal etwas Lebendes vorgesetzt bekommen.«
    Tobbs rutschte das Herz in die Hose.
    »Trotzdem, übermenschlich«, sagte die Frau. »Glaube mir, er ist kein Mensch. Verpass ihm einen Spiegel – jetzt gleich. Und dann lass uns nach jemandem suchen, den die Schwärme lieber fressen.«
    In diesen Sekunden lernte Tobbs einiges über sich selbst – und darüber, wie schnell er denken konnte, wenn er in einer Notlage war.
    »Aber ich bin doch ein Mensch«, sagte er. »Das mit dem Spiegelbild hat nichts zu bedeuten. Das ist nur … eine Art Fluch. Im Spiegel würde ich euch gar nichts nützen, denn in meinem Spiegel würde sich niemand sehen. Meine einzige Chance, diesen Fluch wieder aufzuheben, ist, als Opfer für die Schwärme zu dienen. Nur aus diesem Grund wurde ich hergeschickt.«
    Der Mann und die Frau wechselten einen zweifelnden Blick.
    »Ach?«, meinte der Mann sarkastisch. »Und wie soll das gehen?«
    Tobbs schwitzte, aber er bemühte sich, ein einigermaßen teilnahmsloses Gesicht zu machen. Fünf Jahre Übung im Pokerspiel mit den Todesfeen zahlten sich nun aus.
    »Na, ich opfere mich. Und dann ist meine Seele endlich frei und von jedem Fluch erlöst. So wurde es mir gesagt.«
    »Deine Seele«, bemerkte die Frau trocken. »Frei?«
    Tobbs nickte eifrig. »Ja, in meinem Dorf weiß das jedes Kind: Wer die Ehre hat, in der Stadt der Spiegel den Schwärmen geopfert zu werden, bekommt ein neues Leben geschenkt. Ein besseres als das vorherige, versteht sich. Deshalb habe ich mich freiwillig als Opfer gemeldet. Ein ganzes Jahr habe ich mich auf diese Aufgabe vorbereitet. Und die … äh … guten Götter haben mich gerade noch rechtzeitig vor dem Opferblütenfest erhört und mich vom Himmel in diese Stadt geworfen.«
    Die Mundwinkel des Mannes zuckten, als müsste er ein Lachen unterdrücken. »Er weiß es nicht«, sagte er zu der Frau.
    »Er weiß es nicht«, bestätigte sie. Tobbs fragte sich, ob sie immer als wechselseitiges Echo unterwegs waren. Und als seien sie auch noch Spiegelbilder, grinsten sie nun beide plötzlich. Dann wandte die Frau sich wieder Tobbs zu.
    »Du freust dich also darauf, unser Opfer zu sein?«
    Tobbs strahlte sie an. »Deshalb wollte ich auch lebend

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