Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Männer, die sich heftig stritten, um einen Tisch herum und legten aus einigen Stapeln bedruckten Papiers gerade eine neue Broschüre zusammen.
Jens unterbrach sein Gespräch und ging freudig auf Anke zu. Sie zog ihn nach draußen in den Hinterhof. Dort erzählte sie ihm von der Kontrolle am Grenzübergang und dem Zwischenfall mit den Landkarten.
Hier bitte, ich hab’ sie am Ende behalten dürfen!
Jens sagte eine Weile nichts. Was bedeutete es, dass die Zollbeamten Anke die Karten zurückgegeben hatten? War das ein Trick? Wollte man warten, bis die Karten bei ihm in der Wohnung waren? Wollten sie bei einer Durchsuchung die Karten bei ihm finden, um ihm geplante Republikflucht vorwerfen zu können? Ging es um den Nachweis einer Straftat?
Die Staatsmacht wollte ganz offenbar Menschen wie ihn in eine bedrohliche Ungewissheit drängen, damit sie sich selbst aus Furcht die Grenzen wieder enger steckten.
Es ärgerte ihn, dass sie nun ganz genau wussten, dass die Karten für ihn bestimmt waren. Andererseits, überlegte er, machte er kein Geheimnis aus seinen Reisen, er hielt Vorträge über seine Touren in den Kaukasus vor Hunderten von Zuschauern in der Urania. Ja, er war unerlaubt gereist, aber er war immer wieder zurückgekehrt.
Er hatte vor, mit Marie neue Reisepläne zu besprechen. Diesmal sollte es nicht Russland sein, er wollte mit ihr eine neue Grenze überwinden, er wollte in die Mongolei – dafür hatte er die Karten bei Anke bestellt.
Die amerikanischen Fliegerkarten waren nun mal die genauesten. Den Tipp hatte ihm ein Russlandreisender gegeben, den er am Baikalsee getroffen hatte. In Ost-Berlin war es unmöglich, überhaupt Karten aus solchen Regionen zu finden, Jens hatte bei seinen Reisen auch in anderen sozialistischen Ländern versucht, Karten zu bekommen – erfolglos. Grenzgebiete waren auf den im Osten hergestellten Karten grundsätzlich nur ein breiter weißer Streifen, ohne Straßen und ohne Orte.
Hauptsache, die Karten waren da. Jens und Anke gingen los, aber nicht in seine Wohnung in die Rykestraße. Er wollte lieber vorsichtig sein.
Was sie nicht wussten: Während Anke noch im Container am Grenzkontrollpunkt wartete, hatten sich zwei Männer zur Wohnung von Jens begeben. Stundenlang saßen die beiden seitdem in ihrem Wartburg vor dem Haus Nummer 5 und beobachteten, wer kam und wer ging. Doch sie konnten nur wenig in ihr Protokoll eintragen. Um Mitternacht wollten sie endlich losfahren und meldeten dies über Funk ihrem Vorgesetzten. Der brüllte sie an, ob sie denn nicht wüssten, dass West-Berliner erst um zwei Uhr nachts zurück über die Grenze müssten, und befahl ihnen: Weiter am Objekt bleiben!
Doch auch zwei Stunden später hatten weder Anke noch Jens noch Marie sich dem Haus genähert . So zogen die beiden Männer unverrichteter Dinge wieder ab.
Kapitel 6 Der Plan
Im Seitenflügel der Rykestraße 5 standen mehrere Wohnungen leer. Eine davon schien Jens als zusätzlicher Arbeitsraum geeignet.
Jetzt, da sie zu zweit in einem Zimmer lebten, brauchte er mehr Platz zum Sortieren und Bearbeiten seiner Filme. Das war eine Aufgabe, die ihm Spaß machte, aber einigen Aufwand erforderte. Auf einem Leuchttisch wählte er die besten Aufnahmen aus, trennte sie Stück für Stück von den Filmrollen und versuchte, sie möglichst staubfrei zwischen zwei Gläsern zu rahmen.
Ein befreundeter Naturfotograf hatte ihm geraten, die Dias dabei in einen dünnen Ölfilm einzubetten. Jens wollte die Aufnahmen, für die er so weit gereist war, bei seinen kommenden Vorträgen in der Urania möglichst perfekt präsentieren. Luftblasen zwischen Dia und Glasscheibe produzierten störende Farbmuster, wenn er ein Bild länger stehen ließ. Mithilfe des Öls zwischen Glas und Dia konnte man diese Newtonschen Ringe verhindern, und die Bilder wirkten wesentlich brillanter. Dafür nahm Jens die zeitraubende Fummelei gern in Kauf. Die angefangene Arbeit jedes Mal wieder wegzuräumen war lästig, daher suchte er nach einem eigenen Arbeitsraum, in dem er sich ausbreiten konnte, wie er wollte. Einen zu finden war nicht weiter schwer. Ohne lange mit Hauswart oder Hausverwaltung zu verhandeln, bezog er einfach eine der leer stehenden, unverschlossenen Wohnungen im Seitenflügel. Ein Stuhl, ein Tisch, eine Lampe – schnell war alles Notwendige organisiert. Jens legte los, schließlich war in einer Woche der nächste Diavortrag in der Urania angesetzt.
MARIE SASS auf der russischen Holzkiste in Jens’ Zimmer, sie
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