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Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wensierski
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dem Fenster. Die Straßenlaternen leuchteten wie so oft, obwohl die Sonne schien. Marie beschloss, noch etwas nach draußen zu gehen. Sie hatte eine Idee.
    STUNDEN SPÄTER saß Jens immer noch im Seitenflügel und rahmte Dias. Er hatte die Tür nur angelehnt.
    Marie trat leise in den Raum.
    Komm mal mit, ich will dir was zeigen.
    Einen Moment zögerte er, dann nahm er ihre ausgestreckte Hand.
    Sie rannte mit ihm die Treppe hinunter und hielt ihn dabei fest – dann quer über den Hinterhof, an Mülleimern und Teppichstange vorbei bis ins Vorderhaus. Alle vier Stockwerke hoch. Kurz vor dem dritten Absatz ging die Treppenhausbeleuchtung aus. Marie blieb stehen, drückte Jens sanft gegen das Geländer und küsste ihn. Unten im Haus klapperte die schwere Haustür und das Licht ging mit einem lauten Klack wieder an.
    Ganz oben auf dem Dachboden angekommen, konnten sie kaum noch etwas erkennen. Beleuchtung gab es hier nicht. Die Holzbretter knarrten, es roch staubig. Irgendwo im Dunkel hörten sie Tauben gurren. Am Ende des Dachbodens, versteckt hinter den schweren Holzbalken, fiel etwas Licht von oben ein.
    Erst als sie aus der Luke kletterten, standen sie wieder im Licht der abendlichen Stadt. Zwischen den Schornsteinen hatte Marie ein Lager aufgeschlagen. Zwei Schlafsäcke warteten auf die beiden, daneben eine Kerze in einem Glas, eine Weinflasche.
    Jens wollte Marie umarmen, doch sie bückte sich und hob rasch etwas hoch. Sieh mal, was ich gefunden habe!
    Sie zeigte ihm ein etwas vergilbtes Buch. Batjargal – Abenteuer in der Mongolei stand in großen blauen Lettern auf dem Umschlag.
    Das ist mal in Leipzig erschienen, in den dreißiger Jahren. Ich war vorhin in einem Antiquariat, dort habe ich es entdeckt. Es enthält sogar ganz alte Fotos. Aber erst möchte ich dir daraus vorlesen, solange wir noch etwas erkennen können.
    Jens war überrascht und begeistert. Bisher hatte er bei seinen Reisen immer alles allein vorbereitet. Er war besonders neugierig auf die Fotos, griff nach dem Buch, aber Marie hielt es fest und schob seine Hand zurück. Die beiden setzten sich an den Schornstein und tranken vom Wein.
    Marie schlug das Buch auf und begann die Einleitung vorzulesen:
    »Was treibt uns immer wieder hinaus in die Welt, was erfüllt uns mit Sehnsucht, was bewegt uns, das alltägliche Dasein hinter uns zu lassen, auf vieles zu verzichten, Mühen und Entbehrungen auf uns zu nehmen?
    Unsere Beharrlichkeit, auch die des Wünschens, hat magische Kräfte … und so kann man Schwierigkeiten meistern, Hindernisse nehmen, ja sogar die Chinesische Mauer überwinden, selbst dann, wenn man nicht einmal vor ihr steht …«
    Marie lachte und drehte sich zu Jens:
    Das hat einer vor fünfzig Jahren geschrieben, der konnte noch nicht wissen, dass wir heute die Chinesische Mauer nicht einmal sehen können.
    Jens schaute über die Dächer hinweg.
    Warum eigentlich nicht?
    Sie schlug das Buch am Anfang auf.
    Sieh mal, hier vorn ist auch noch eine alte Widmung.
    Jens beugte sich vor.
    Ob wir die lesen können? Lass mich mal sehen … Auf jeden Fall hat das eine Helene geschrieben. Ihre Schrift ist wirklich nicht einfach zu entziffern.
    Marie hatte das Rätsel schon gelöst. Sie las:
    »Es gibt Abenteuer des Herzens und der Seele, die man nur erleben kann, wenn man fortgeht.«
    Sie nickte: Das hat Helene schön gesagt.
    Jens nahm ihr behutsam das Buch aus der Hand, blätterte darin, blieb auf einer Seite hängen und las einen Absatz vor:
    »Nach dieser Nacht in der Jurte hatte er sich entschieden, vorerst bei den Nomaden zu bleiben. So begann für den Fremden das Abenteuer des ursprünglichen Lebens. Ein Leben, bei dem man wieder den rechten Hunger bekommt, der jeden Bissen zu einem herzhaften Genuss macht, bei dem man wieder die gesunde Müdigkeit verspürt, durch die der Schlaf zu einer unvergleichlichen Wonne wird …«
    Er ließ das Buch sinken und blickte zu Marie. Sie hatte die Augen geschlossen.
    Marie?
    Ich bin hellwach, Jens! Ich träum’ mich nur ein wenig in die Ferne …
    Sie nahm sich das Buch wieder zurück und suchte nach den Abbildungen. Bei einer hielt sie inne. Das Foto zeigte einige Kinder vor einer Jurte, dahinter eine weite, flache Steppe, am Horizont Berge, am Himmel dicke weiße Wolken.
    Meinst du wir schaffen es, dahin zu kommen?
    Jens sagte nichts, er nickte nur. Sie legte das Buch beiseite.
    Komm mit.
    Sie nahm ihn wieder an die Hand und führte ihn auf das Dach des nächsten Hauses, näher heran an den alten

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