Die verbotenen Evangelien: Apokryphe Schriften
Kreuz, um die Menschen vom Gesetz loszukaufen, ein klassisch paulinischer Gedanke. Insgesamt betrachtet, war die Lehre Marcions der kirchlichen Lehre stärker verbunden als den sich entwickelnden gnostischen Systemen, denn im Gegensatz zur Gnosis sah er alle Menschen alles völlig von der Sünde korrumpiert an. Aus diesem Grund benötigt er auch von Außen die voller Erlösung, während in der Gnosis der Erlöser primär dazu beiträgt, dass der Gnostiker, der immer schon den göttlichen Lichtfunken in sich trägt, den Weg zurück zum Heil erkennt. Das einzige, was Marcion mit der Gnosis teilte, war die Ansicht, dass der Schöpfergott nicht der gute Gott sei und, dass Jesus nur einen Scheinleib hatte.
Die Geringschätzung des Alten Testaments war keine Erfindung Marcions. Seine Lehre beruhte auf einer zu seiner Zeit im Christentum durchaus bekannten Ansicht. Zu seiner Meinung kam Marcion unter anderem durch das ausgiebige Studium der Paulusbriefe, indem er realisierte, dass der von Paulus verkündete Gott doch in einem gewissen Gegensatz zu dem des Alten Testaments stand. Weil er so sehr zwischen dem Gott des Alten Testaments und dem, den Jesus verkündete, unterschied, hielt Marcion alle Stellen im sich entwickelnden Neuen Testament, die auf den strafenden, rächenden etc. Gott Bezug nahmen für Fälschungen, die er entfernte. Auf die Entwicklung des Kanons nahm er Einfluss, indem er ein eigenes Neues Testament zusammenstellte, das aus zehn „gereinigten“ Paulusbriefen und einem ebenfalls von ihm „gereinigten“ Lukasevangelium bestand. Gereinigt bedeutete: von allen Bezügen zum Alten Testament befreit.
Montanismus
Ebenso spielte der Montanismus eine Rolle in der Geschichte der Kanonisierung. Diese Bewegung, die nach ihrem Gründer Montanus benannt wurde, entstand Mitte des 2. Jahrhunderts in Phrygien in Kleinasien; in einer Region, in der Prophetie, asketische Praktiken und eine ausgeprägte Endzeiterwartung weit verbreitet waren. Diese Elemente machten einen wesentlichen Bestandteil des Montanismus aus, der zu Beginn des 3. Jahrhunderts als Häresie verworfen wurde; nachdem er zuvor großen Erfolg in vielen Gemeinden Kleinasiens, Nordafrikas, aber auch Roms verbuchen konnte. Das Ausbleiben, des von Montanus prophezeiten, tausendjährigen Reiches, die umfassende Kritik, aber auch Polemik der Orthodoxie trugen letztlich zum Abklingen der Begeisterung weiter Kreise für den Montanismus bei. Innerhalb der Orthodoxie war man sich nicht zu schade, die montanistischen Gegner mit Verleumdungen und übler Nachrede auszubooten. So sagte man ihren Führern beispielsweise Bestechlichkeit und Habgier nach. Ihre prophetischen Gaben seien nicht Zeichen des heiligen Geistes, sondern von dämonischer Besessenheit. Die Stellung der Frauen in der montanistischen Bewegung als Prophetinnen und Priesterinnen trug ihr übriges zur Ablehnung durch die Großkirche bei.
Montanus hielt sich für den im Johannesevangelium verheißenen Parakleten, d. h. Beistand, den Johannes mit dem heiligen Geist identifizierte. Von Bedeutung waren noch die beiden Prophetinnen Priska und Maximilla, die Montanus zur Seite standen. Er behauptete, seine Lehren durch Offenbarungen und Visionen empfangen zu haben. Man erwartete ein neues Zeitalter des Geistes, das tausendjährige Reich Christi. Um für dieses bereit zu sein, lebten die Montanisten in strenger Askese. Im Gegensatz zur übrigen Kirche sahen sie bei schweren Sünden keine Möglichkeit zur Buße. Die Bußpraxis der Großkirche war ihnen zu einfach und zu kompromissbereit. Für die Monta-nisten war die Flucht vor dem Martyrium gleichbedeutend mit einem Abfall vom Glauben. Die Aufgabe der Christen sahen sie in der bedingungslosen Bereitschaft zum Martyrium. Aufgrund ihrer ethischen Strenge und ihres Lebenswandels konnten sie eine große Zahl von Anhängern gewinnen. Die Prophetie nahm bei den Montanisten einen wichtigen Platz ein. Eine besondere Vorliebe zeigten sie daher auch für das Johannesevangelium und die Johannesapokalypse. Ihr Einfluss auf die Kanonbildung hängt damit zusammen. Denn über die Interpretation und Aufnahme des johanneischen Schrifttums, insbesondere über die Apokalypse, gab es heftige Meinungsverschiedenheiten mit anderen Gruppierungen. Ob die Montanisten versuchten, einen dritten Teil in Form ihrer prophetischen Sprüche an die bereits vorhandenen Schriften anzuhängen und deren Verbindlichkeit durchzusetzen, ist völlig unklar. Auch wenn man davon ausgehen kann,
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