Die verbotenen Evangelien: Apokryphe Schriften
der Regel waren die Anhänger der bedeutenden gnostischen Schulhäupter im einigermaßen gebildeten städtischen Milieu zu suchen. Ihnen wurde ein durch die platonische Philosophie hindurchgegangenes Christentum vermittelt, das sich etlicher mythologischer Konstruktionen bediente, um auf den Aspekt der Unvermischbarkeit der göttlichen mit der menschlichen Sphäre zu verweisen. Die Entwicklung unendlicher Ausflussreihen verschiedenster Mittlerwesen aus dem Göttlichen diente keinem anderen Zweck. Wie fließend die Grenzen zwischen Gnosis und Christentum sein konnten, zeigt die Geschichte des Johannesevangeliums.
Die Gnosis ist aber nicht nur im Christentum nachzuweisen. Gerade die Funde von Qumran und Nag Hammadi zeigten, dass z. B. innerhalb des Judentumsgnostische Strömungen existierten. Darüber hinaus gab es Bewegungen, die nur sehr wenig mit den beiden judaistischen Religionen gemein hatten und sich aus anderen Quellen speisten. Einen Ursprungsort der Gnosis zu ermitteln, ist unmöglich. Zu viele unterschiedliche Elemente fließen in ihr zusammen: weisheitliche Lehren Ägyptens, Persiens, Babylons, der griechischen Mysterienschulen und bestimmter philosophischer Strömungen. Untrennbar ist sie aber mit der hellenistischen Welt verbunden. Ihre Wirksamkeit lässt sich in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende nachweisen. Weiterentwicklungen und Wiederaufnahmen gnostischer Lehren finden sich in einigen der so genannten mittelalterlichen christlichen Ketzerbewegungen, z. B. bei den Bogomilen, Paulikanern oder Katharern.
Charakteristisch für die Gnosis ist neben ihrem esoterischen Wesen, ihr stark dualistischer Zug. Stets wird radikal zwischen Geist und Materie, Licht und Finsternis, Gut und Böse, Wissen und Unwissen differenziert. Zudem gibt es einige gemeinsame Punkte, die die verschiedenen gnostischen Systeme mehr oder weniger teilen. Das oberste Wesen, das eine rein transzendente Größe ist, ist vom biblischen Gott scharf zu unterscheiden. Dieses oberste Wesen ist auch nicht für die Schöpfung der materiellen Welt verantwortlich. Die menschliche Welt ist mehr oder weniger Resultat eines Betriebsunfalles, der meist als mythologisches Drama dargestellt wird, bei dem niedere geistige Kräfte, z. B. der Gott des Alten Testamentes, etwas schufen, was eben völlig ungeistig war. Zwischen dem höchsten, rein geistigen Wesen und der Materie gibt es also eine Unzahl von immer weniger geistigen Wesen, da mit jedem Ausfluss aus dem rein Geistigen immer mehr Stoffliches entsteht, bis am Ende die Welt und der Mensch vorhanden sind. Der Gnostiker war nun ein Eingeweihter, der sich durch konstante Einübung in die Gnosis aufgrund eines ihm innewohnenden göttlichen Lichtfunkens, aus den Fesseln der Materie befreien konnte. Nur wer eingeweiht war, konnte auch den innersten Sinn der Lehren verstehen. Dieser Umstand ist dafür verantwortlich, dass es heute sehr schwer fällt, viele der überlieferten gnostischen Texte wirklich zu verstehen. Nach gnostischen Vorstellungen existieren in jedem Menschen drei Menschen. Der erste ist der Sarkiker, der fleischliche Mensch, aus diesem geht der zweite, der Psychiker, der seelische hervor, und aus diesem letztlich der Pneumatiker,der geistige. Sobald der Gnostiker eine höhere Stufe erlangt, wird er feierlich eingeweiht. Die Lehren, die er dann erfährt, sind geheim und dürfen niemandem, der nicht auf derselben Stufe steht, mitgeteilt werden. Nur dem Pneumatiker ist die Wiedervereinigung mit dem Göttlichen möglich. Der göttliche Lichtfunken, der in der Seele des Gnostikers ruht, kann auch durch die tiefste Verstrickung in das Materielle niemals zerstört werden. Der Erlösungsweg, den die Gnosis vollzieht, stellt die Umkehrung der Schöpfung dar. Die erste Welt, die gezeugt wurde, ist rein geistiger Natur, die nächste trägt schon stoffliche Elemente in sich, die letzte Welt, die erschaffen wurde, ist die, in der sich der Gnostiker vorfindet. Sie ist rein materieller Natur und vom göttlichen Ursprung total getrennt. Durch den materiellen Leib wird die Seele an das Materielle gekettet, das sie lieben lernt. Dabei vergisst sie ihren göttlichen Ursprung. Der Pneumatiker hat nun die Aufgabe, durch Abstreifen des Materiellen zu immer feinstofflicheren Regionen vorzudringen, bis letztlich das unstoffliche Lichtreich des Göttlichen wiedererlangt ist. Den Weg zur Befreiung von der Materie lehrt das rechte Wissen von den Dingen.
Nachdem nun die verschiedensten Ansichten im
Weitere Kostenlose Bücher