Die verbotenen Evangelien: Apokryphe Schriften
gänzlich andere als bei Matthäus. Worin die kanonischen Texte im Gegensatz zum Judasevangelium jedoch völlig übereinstimmen, ist ihre negative Beurteilung dieses Jüngers und seines Tuns
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Was das Judasevangelium so interessant macht, sind also nicht die vermeintlichen neuen historischen Fakten über den „Fall Judas“, sondern die Tatsache, dass durch diese Schrift ein weiterer Mosaikstein im weiten Feld der christlichen Tradition des zweiten Jahrhunderts aufgetaucht ist. Er veranschaulicht eindrucksvoll dieVielgestaltigkeit des Christentums dieser Zeit. Wie in anderen gnostischen Textfunden des 2. Jahrhunderts. n. Chr. geht es im Judasevangelium um die Auseinandersetzung zwischen der sich etablierenden Großkirche und ihren gnostischen Gegenspielern hinsichtlich des richtigen Verständnisses des Erlösungswerkes Christi. Aber nicht nur der Inhalt des Manuskripts, sondern auch seine Veröffentlichungsgeschichte ist aufregend
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1978 wurde bei einer Raubgrabung am rechten Nilufer, in dem 60 km von Al Minya gelegenen ägyptischen Dorf Ambar, ein ursprünglich 66 Seiten umfassender Codex gefunden, dessen Inhalt erst 23 Jahre später die Forscherwelt überraschen konnte, da man solange auf diesen Text keinen Zugriff hatte. Eine Zeitspanne, in der sich der Zustand des Papyrus ungeheuer verschlechterte. Erst im Jahr 2001 konnte Rodolphe Kasser, der spätere Herausgeber, diesen Papyrus in Händen halten oder das, was davon übrig war. Kasser hatte u. a. einen Text vor sich, von dessen Existenz man bis dato ausschließlich durch Bemerkungen christlicher Schriftsteller der ersten Jahrhunderte wusste: das Judasevangelium. Das größte Verhängnis für den Codex war es, dass sein langjähriger Besitzer nicht am Inhalt, sondern nur am erzielbaren Profit durch einen Verkauf interessiert war. Hellhörig geworden durch den Wert der Textfunde von Nag Hammadi versuchte der ägyptische Antiquitätenhändler Hanna, an den seinerzeit die Entdecker den Codex verkauft hatten, mit diesem einen möglichst großen Gewinn zu erzielen. Aber allein mit diesem Versuch musste er vier Jahre lang warten, da ihm selbst der Codex kurz nach Erwerb gestohlen worden war. Erst 1982 konnte er ihn wieder in seinen Besitz bringen
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Danach kontaktierte er Ludwig Koenen vom Department of Classical Studies der Universität von Michigan, der seinerseits Richard Robinson, einen der Hauptverantwortlichen der Nag Hammadi-Textedition, informierte. 1983 fanden in Genf Verkaufsverhandlungen statt, zu denen Robinson seinen damaligen Schüler Stephen Emmel schickte, der einige Seiten ansehen konnte. Dabei identifizierte er den „Brief des Petrus an Philippus“, eine „Jakobus-Apokalypse“ und einen Dialog Jesu mit Judas, der sich später als das Judasevangelium entpuppen sollte. Der Verkauf scheiterte aber an Hannas Preisvorstellung. Man munkelte etwas von drei Millionen Dollar. Fast 17 Jahre lang fand sich kein Käufer. Die völlig unprofessionelle Behandlung, die der Codex in diesen Jahren erfuhr, trug maßgeblich zu dessenteilweiser Zerstörung bei. So wurden für Photos unsachgemäß einzelne Blätter entnommen, aber auch der jahrelange Aufenthalt in einem viel zu feuchten New Yorker Banksafe und zu guter Letzt die Schockfrostung in einem Gefrierfach durch den letzten Käufer taten ihr übriges, um aus einem ursprünglich gut erhaltenem Codex teilweise Papyrusbrösel zu machen
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Aber alles der Reihe nach. Nach seinem feuchten Gemach im Keller einer New Yorker Bank schien sich die Sache für den Text am 3. April 2000 zum Guten zu wenden, da Frieda Tchacos Nussberger diesen erwarb und der Yale University zur Begutachtung übergab. Zum ersten Mal konnten Fachleute den Codex ausführlicher untersuchen. Doch leider war damit seine Irrfahrt und Leidensgeschichte noch nicht beendet, da ihn die Universität nicht kaufte. Statt eines feuchten New Yorker Banksafes wurde nun ein Eisfach im Haus des neuen Besitzers, Bruce Ferrini, die Heimat der geschundenen Papyrussammlung. Weil Ferrini diese auch nach Monaten nicht bezahlen konnte, gab er sie nebst einigen Fotos, die er gemacht hatte, schließlich Frieda Nussberger zurück. Der Text befand sich in einem katastrophalen Zustand. Einige Seitenstücke waren nur noch Brösel. Wie sich hinterher herausstellte, behielt Ferrini aber nicht nur Fotos, sondern auch Fragmentseiten, um sie gesondert zu verkaufen. Die Odyssee des Codex fand schließlich im Februar 2001 ihr endgültiges Ende als die Maecenas Stiftung für
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