Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
machte sich auf den Weg in die Gasse, in der die Goldschläger ihre Werkstätten hatten.
Obwohl Gustelies schon mehrfach hier gewesen war, staunte sie doch wieder über die fehlende Pracht. Die Gasse war über und über von grauem Staub bedeckt. Selbst auf den Fensterbrettern und in den Nischen lag die grauweiße Masse. Aus den offenen Werkstatttüren drang gewaltiger Lärm. Es wurde gehämmert, geflucht, geschlagen, geklopft und nur selten gelacht. Vor einer Werkstatt stand ein Fuhrwerk. Zwei Lehrjungen und der Kutscher bemühten sich, einen riesigen Marmorblock, der wahrscheinlich aus Italien herangeschafft worden war, mit Stricken zu umwinden, um ihn alsdann in die Werkstatt zu bringen. Ein Mädchen mit roten, rissigen Händen sah dabei zu, und Gustelies erkannte einen kleinen Buckel auf ihrem Rücken, der wahrscheinlich vom vielen gebückten Arbeiten herrührte.
Die Fenster über den Werkstätten waren zumeist mit teurem Blei verglast und gaben Gustelies den einzigen Hinweis darauf, dass die Goldschläger im Allgemeinen keine armen Leute waren.
Zwei Mönche eines Ordens, den Gustelies nicht kannte, kamen in die Gasse und betraten sogleich die größte Werkstatt. Plötzlich entdeckte Gustelies auch ihre Nachbarin, die Gundel, die nun in Klärchen Gaubes Haus wohnte.
«Gott zum Gruße, Gustelies. Was treibst du denn hier?», wollte die Nachbarin wissen.
«Och», Gustelies winkte ab. «Das Wetter ist heute so prächtig und da wollte ich einen Spaziergang machen. Ich weiß selbst nicht, wie ich hierher geraten bin. Und du? Was führt dich zu den Goldschlägern?»
«Mit den Goldschlägern habe ich nichts zu schaffen. Am Ende der Gasse, da hat ein Gold- und Perlensticker seine Werkstatt. Ich brauche Gold- und Silberfäden für meine Posamenten.»
Gustelies nickte. «Dann hast du wohl reiche Kundschaft?», fragte sie.
«Hin und wieder», antwortete Gundel unbestimmt. «Komm mich doch einmal besuchen, dann kann ich dir genau zeigen, was ich tue.»
Gustelies nickte und ließ die Posamentiererin vorbei. Sie wartete, bis die Frau in der angegebenen Werkstatt verschwunden war, dann fragte sie einen Fuhrmann: «Sagt, wo finde ich die Werkstatt von Henn Goldschläger?»
Der Fuhrmann kniff die Augen zusammen. «Was wollt Ihr denn von dem? Ich kann Euch das Haus zeigen, aber zu einem Besuch kann ich Euch nicht raten. Der Henn, der ist nicht mehr er selbst, seit seine Adele weg ist.»
Der Fuhrmann streckte die Hand aus und zeigte auf ein Haus, an dem die Läden geschlossen und die Tür verrammelt war. «Da wohnt der Henn», erklärte er und wiederholte: «Was wollt Ihr denn von ihm?»
Gustelies antwortete nicht, sondern fragte ihrerseits. «Warum sind die Läden zu? Arbeitet er nicht?»
Der Fuhrmann winkte Gustelies näher heran. «Wisst Ihr es nicht? Seine Tochter ist ihm abgehauen. Es heißt, sie hätte in der letzten Zeit die ganze Arbeit gemacht, weil der Henn zu besoffen war, um das Blattgold zu schneiden. Der zweite Sohn vom Nachbarn hatte wohl ein Auge auf Adele und die Werkstatt geworfen und um ihre Hand angehalten. Es gab eine Prügelei, weil der alte Henn sein Mädchen nicht rausrücken wollte. Am Ende aber ist sie doch gegangen.»
«Mit dem Nachbarssohn?»
Der Fuhrmann schüttelte den Kopf. «Der war nur zwei Tage verschwunden. Zugleich mit der Adele. Wir alle dachten, sie wären zusammen durchgebrannt. Aber der Junge tauchte wieder auf. Kein Wort hat er erzählt darüber, was geschehen ist. Nicht eins. Er hat sich die Schürze umgebunden und weitergemacht, als wäre er nur mal auf dem Abtritt gewesen. Die Adele aber blieb verschwunden.»
«Hat der Henn keine Anzeige erstattet?»
Der Fuhrmann schüttelte den Kopf. «Wie könnte er denn? Gehalten hat er sie wie eine Sklavin. Nein, nein.» Er schüttelte wieder den Kopf. «Jetzt hockt er da drinnen im Dustern und beweint sein Schicksal.»
[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 10
F ür einen Augenblick erwog Gustelies, den unglücklichen Goldschläger Henn zu besuchen, doch dann ließ sie es. Was sollte sie ihn auch fragen? Ob er seine Tochter schlecht behandelt hatte? Außerdem brannte die Erinnerung an den Maientanz vor so vielen Jahren, als sie den Henn hatte stehen lassen müssen, plötzlich wieder wie Feuer in ihrem Herzen.
Da tippte ihr der Fuhrmann auf die Schulter. «Dort drüben, das ist der Andres, der, der die Adele heiraten sollte.»
Gustelies bedankte sich und schaute in die angegebene Richtung. Ein junger Mann, ein wenig stämmig und mit
Weitere Kostenlose Bücher