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Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Frankfurt eine Außenstelle aufgemacht hat, deshalb.»

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    Kapitel 28
    D er Retter lehnte an einem Grabstein und sah zu, wie der Wind in den Blättern der alten Linde spielte. Die Luft war lau, es roch nach schwerer, guter Erde und nur wenig nach verwelkenden Blumen. Er hatte gesehen, wie der Totengräber das Friedhofstor ordentlich mit einer Eisenkette verschlossen hatte, doch er wusste, dass das Mädchen den offenen Seiteneingang kannte. Er hatte sie immerhin schon lange beobachtet. Manchmal war sie zum Grabe der Mutter gekommen und hatte mit der Toten gesprochen. Viel hatte der Retter nicht verstanden, die Angst des Mädchens mehr in seinen Gesten wahrgenommen. Jetzt würde sie bald kommen, und er würde ihr die Angst nehmen. Doch er musste sich beeilen. Er wurde schon wieder einmal erwartet. Er musste pünktlich sein, damit niemandem auffiel, dass er im Tageslauf hin und wieder fehlte und seinen eigenen Dingen nachging. Es gab einfach zu viele Leute, die er mittlerweile in der Stadt kannte. Oder besser, die ihn kannten. Er hatte es schon immer verstanden, die Weiber um seinen Finger zu wickeln. Schon damals, als Kind, waren sie gekommen, um seine schwarzen Augen zu sehen, sein langes Haar zu streicheln oder über die zarten Wangen zu fahren, die eher die eines Mädchens als die eines Knaben waren. Und später auch, als er weggehen musste von zu Hause und all diese schrecklichen Dinge gesehen und gehört hatte, da war seine Schönheit noch immer ein Anziehungspunkt gewesen.
    Einmal hatte sie ihm sogar das Leben gerettet. Ein Weib war für ihn über die Klinge gesprungen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nichts an ihr war danach noch wie früher gewesen, aber er war ihr dankbar gewesen, und er hatte für sie gesorgt. Sie hatte ihm sein Leben geschenkt, und ihm damit das ihre aufgehalst. Er hatte die Last gern getragen. Bis zum Ende. Aber noch einmal sollte ihm so etwas nicht passieren.
    Und dann gestern. Dieses Weib, diese Kebse! Sie war die Ausgeburt der Hölle gewesen, und er wusste noch immer nicht, warum er sie trotzdem in ein weißes Kleid gesteckt und ihr eine Rose in die Hand gedrückt hatte. Dann hatte er sie im Schutze der Nacht zum Römer geschleppt und dort aufgestellt, damit alle sie sehen konnten. Es wäre ihm zwar lieber gewesen, er hätte auch sie auf dem Friedhof beerdigen können, doch hatte es am Tage schon geheißen, dass der Richter dort einen Büttel abgestellt hatte. Nur gut, dass es heute Abend still war auf dem Friedhof, denn der Büttel war mit dem Vesperläuten nach Hause gegangen.
    Aber es konnte auch sein, dass sie ehrlich gewesen war. So, wie ein Weib eben wirklich war. Der Retter wusste es nicht mehr. Seit gestern wusste er gar nichts mehr. Alles schien verkehrt, auf den Kopf gestellt. Er war sich doch so sicher gewesen, dass die Erde die Hölle und es seine Aufgabe war, die jungen schönen Mädchen, die ihre Liebsten verloren hatten, so jung und schön sterben zu lassen, wie sie es waren. Im Tod dann für immer und ewig. Und die Männer, die Liebsten, sie würden ihm dankbar sein, dass er ihre Mädchen gerettet hatte vor den Qualen, die in der Erdenhölle noch auf sie warteten. Für immer jung, für immer schön, für immer tugendhaft. War es nicht das, wonach der Mensch streben sollte, um Gott, dem Allmächtigen, zu gefallen? Stand es nicht so in den Zehn Geboten? Hatten nicht die Mädchen, die er in den Himmel geführt hatte, bisher noch keine Todsünden begangen und würden deshalb ihre Liebsten im Himmel wiedertreffen? Auf ewig jung und schön und tugendsam.
    Aber dieses Weib gestern. Sie war auch jung gewesen. Und vielleicht sogar vor nicht allzu langer Zeit noch schön. Als ihr Kleid noch nicht so schmutzig und zerrissen, die Haare nicht so verfilzt, die Zähne nicht ausgebrochen waren. Aber sie war böse gewesen, er hatte in ihr den Teufel gesehen, hatte ihn riechen können und fühlen. Wenn er sie angefasst hatte, dann war ihm ganz heiß geworden. Heißer, als er gewollt hatte. Und gleichzeitig hatte er sich nach diesem Feuer der Sünde verzehrt. Ach! Was war nur los mit ihm? Was war nur los mit der Welt? Was war richtig? Was war falsch? Er würde es herausfinden. Heute Abend noch, wenn das Mädchen kam. Wäre sie wie die anderen, dann hätte das Teufelsweib unrecht und seine Aufgabe wäre auch weiterhin ein Liebesdienst, ein Gottesdienst, ein Dienst am Menschen. Wenn sie aber anders war, dann, ja dann … Er wagte den Gedanken nicht bis zum Ende zu denken.

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