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Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Denn er wusste, er spürte es im Blut, in der Luft, die er atmete, dass dann alles vergebens gewesen wäre. Und was sollte er dann tun? Dann wäre bewiesen, dass die Erde die Hölle ist. Es war nicht so, dass er diesen Beweis noch gebraucht hätte; nun ging es vielmehr darum, wie er mit diesem Wissen noch weiterleben sollte. Heute, das wusste der Retter mit großer Sicherheit, würde sich mit diesem Mädchen sein weiteres Schicksal entscheiden.
    Der Retter hörte hinter sich das kleine Pförtchen quietschen. Er drehte sich nicht um und wusste doch, dass das Mädchen zu ihm kam.
    «Gott zum Gruße», sagte sie und stellte sich vor ihn. Der Retter legte eine Hand über die Augen und betrachtete hingerissen die roten Strahlen der untergehenden Sonne, die über ihrem Haar leuchteten wie ein Heiligenschein. Das ist ein Zeichen, dachte er. Ein Zeichen dafür, dass ich recht tue.
    «Elfrun heißt du, nicht wahr?»
    Das Mädchen nickte. «Der Liebste, der hat mich seine Elfe genannt.»
    Der Retter lächelte. «Ich weiß.» Dann richtete er sich auf, stellte sich vor das Mädchen. «Was alles würdest du tun, um schnell bei deinem Liebsten sein zu können?», fragte er. Sein Herz klopfte bei dieser Frage zum Zerspringen. Auf diese Antwort hier kam es an. Diese Antwort würde über Leben und Tod entscheiden.
    «Na, magst du mir nicht antworten?», fragte er sanft und drängend zugleich.
    Das Mädchen schob die Unterlippe vor. «Ich weiß es nicht genau», sagte sie leise. «Er ist doch schon so lange weg. Ich weiß kaum noch, wie er aussieht, wie er riecht, wie er geht, wie sein Haar in der Sonne leuchtet.»
    «Das klingt, als hättest du den Liebsten beinahe schon vergessen. Hältst du schon Ausschau nach einem anderen Bräutigam?»
    Das Mädchen zuckte trotzig mit den Schultern. «Was soll ich denn sonst tun? Ich werde älter und älter. Bald schon bin ich eine alte Jungfer und darf nicht mehr hoffen, noch unter die Haube zu kommen. Ich weiß nicht, wo der Liebste ist, weiß nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt. Soll ich meine Jugend etwa an einen Toten verschwenden?» Sie sah ihn herausfordernd an.
    «Wer redet so mit dir?», fragte der Retter und konnte beinahe spüren, wie das Blut aus seinen Wangen floss.
    «Alle reden so», erklärte das Mädchen. «Und meine Mutter sagt: Was nützt dir die Taube auf dem Dach, wenn du den Spatz in der Hand haben kannst.»
    Mit einem Schlag wurde der Retter wütend: «Geh fort!», schrie er das Mädchen an. «Du bist eine Dirne, eine verdorbene. Geh fort und hole dir, was du verdienst. Den Becher aber gib mir wieder.»
    Wieder loderte es rot vor seinen Augen. Wieder presste er die Kiefer aufeinander, dass die Zähne knirschten. Wieder hörte er dämonisches Gelächter in seinen Ohren. Er ballte die Fäuste, stöhnte auf, als litte er den allergrößten Schmerz.
    «Nein!», sagte das Mädchen und presste beide Hände auf seine Schürzentasche. «Den Becher bekommt Ihr nicht zurück. Er ist vom Liebsten, habt Ihr gesagt. Und nur für mich bestimmt.»
    Der Retter packte sie bei den Schultern und schüttelte sie. Das Mädchen schrie auf. Da zog er ein Messer aus seinem Stiefelschaft und hielt es dem Mädchen an die Kehle. Die Kleine fing an zu keuchen. Die Augen traten ihr aus den Höhlen. «Bitte nicht!», flehte sie. «Bitte, lasst mich leben! Ich bin doch noch so jung.»
    Da stieß er sie von sich zu Boden, doch als sie sich aufrappelte und davonlaufen wollte, hielt er sie fest.
    «Was soll ich deinem Liebsten sagen, wenn ich ihn wiedersehe?», fragte er. «Dass du ihn vergessen hast? Dass er umsonst in den Krieg gezogen ist? Dass sein Mädchen nicht besser als ein Kebsweib ist?»
    Das Mädchen verzog die Mundwinkel ein wenig. «Sagt ihm, was Ihr wollt.»
    Der Retter hielt das Mädchen am Handgelenk fest. «Lasst mich los!», greinte sie. «Ich will nach Hause. Die Mutter wird sich wundern, wo ich bleibe.»
    «Willst du nicht wenigstens einen Abschiedstrunk auf den Liebsten trinken? Ihm damit Glück und Gesundheit wünschen?»
    Das Mädchen dachte einen Augenblick lang nach, dann sprach sie: «Warum sollte ich das tun? Wenn ich ihm Glück und Gesundheit wünsche, kommt er am Ende zurück. Womöglich mit den Taschen voll Gold. Dann sitze ich schon bei einem anderen am Herd, und mir bleibt nichts mehr als die Reue. Nein, das kann ich ihm nicht wünschen, wenn ich mir nicht schaden will.»
    Die Kleine zupfte an ihren Locken, spitzte das rote Mündchen und rümpfte die zierliche Nase.

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