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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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spürte schmerzende Stiche in der Brust, die sich bis zum Arm hinzogen. Ich muss mich setzen, dachte sie. Nur ein wenig am Wegrand verschnaufen. Doch sie hatte den Gedanken noch nicht bis zum Ende verfolgt, da wurde sie von einem dichten Schleier eingehüllt. Ihre Knie begannen zu zittern, sodass Jutta dem Zittern nachgab und sich hinhockte. Und dann begann sich die Welt plötzlich vor ihren Augen zu drehen. Bilder aus ihrer Kindheit tauchten auf. Sie sah ihren Vater, ihre Mutter, ihre Schwestern. Auch ihr verstorbener Mann tauchte auf, er schien mit der Hand nach ihr zu winken. «Komm, Liebste», hörte sie ihn rufen. Und mit einem Mal schien ihr alles ganz leicht. Die Geldwechslerin Jutta Hinterer vergaß sogar den bohrenden Schmerz in ihrer Brust, sie wollte nur noch eins: dem Licht folgen.
    Ihre Lippen formten die Worte: «Ich komme.»
    Doch sie sprach diese Worte nicht aus, sondern kippte einfach um und lag im Straßendreck am Ende des Dörfchens Seckbach, und im Fallen presste sie eine Hand auf ihr schmerzendes Herz.

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 39
    H ella war nach dem Schrei sofort auf den Flur gerannt. Eine Tür stand offen, eine der Türen, hinter denen in der Nacht Stille gewesen war.
    Jetzt sah sie eine Frau auf dem Bett liegen. Durch ihren hochgewölbten Leib rollten Wellen. Das Gesicht der Frau war von Schweiß überströmt, und sie warf den Kopf hin und her, wimmerte wie ein sterbendes Tier.
    Der Jedermann hatte ihr den Rock hochgeschlagen, hantierte zwischen ihren Schenkeln.
    «Was stehst du da und glotzt? Hol Wasser, rasch. Aus der Küche, im Kessel auf der Feuerstelle. Es muss noch warm sein.»
    Hella eilte die Stiege hinab, stolperte dabei und hielt sich im letzten Moment am Geländer fest. Sie warf die Holzpantinen von sich, achtete nicht darauf, dass die Kälte des Fußbodens sofort von ihren nackten Füßen Besitz ergriff. Sie hastete in die Küche, riss mit aller Kraft den Kessel vom Haken. Wasser schwappte über den Rand, lief in die Feuerstelle.
    Hella schwitzte; der Kessel war schwer, ihr Bauch war im Weg. Wie sollte sie ihn nach oben bringen?
    Da ertönte wieder dieses schreckliche Wimmern, das an ein Tier gemahnte. «Lilo», schrie Hella. «Komm und hilf mir doch!»
    Aber außer dem Wimmern und dem Stöhnen des Jedermanns war nichts zu hören.
    Mit letzter Kraft wuchtete Hella den Kessel die Treppe hinauf. Keuchend stellte sie ihn neben das Bett der Gebärenden. Sie starrte auf deren Gesicht. Die Frau hatte die Augen offen, aber so weit nach oben gedreht, dass nur das Weiße sichtbar war. Ihr Gesicht war vom Schweiß überströmt, die Lippen blutig gebissen. Hella packte das Grauen. Mit einem Mal schoss ein Schwall Blut, gemischt mit einer grünlichen Flüssigkeit, zwischen den Schenkeln der Kreißenden hervor.
    «So helft mir doch!», brüllte der Mann.
    Aber Hella stand da, konnte sich nicht bewegen. Ihr Blick war auf die Frau geheftet, die sich wand und wimmerte.
    In Hellas Geist sah sie sich selbst dort liegen. Sie wollte schreien, presste schon beide Fäuste auf den Mund, da stieß der Mann sie grob in die Seite.
    «Kniet Euch zwischen die Schenkel, tastet nach dem Kind. Zieht es heraus, aber behutsam.»
    Wie eine Puppe, die an Schnüren hing, gehorchte Hella seinen Befehlen. Ihr Kleid war innerhalb kürzester Zeit von Blut durchtränkt. Sie hatte noch nie bei einer Geburt geholfen oder auch nur zugesehen. Sie hatte Angst vor dem Blut, Angst, der Frau noch mehr Schmerzen zu bereiten. Sie wusste nicht, wo und wie sie anpacken sollte, doch wieder stieß der Mann sie grob an.
    «Wollt Ihr, dass das Kind verreckt?», brüllte er.
    Und da wachte Hella auf, wusste mit einem Mal, was zu tun war und wie. Ihre Hände drangen ganz von selbst in den weitgeöffneten Schoß der Frau. Als sie das Kind unter ihren Fingerspitzen fühlte, atmete sie auf. Behutsam, so behutsam sie nur konnte, tastete sie den kleinen Körper ab, achtete nicht auf die Schmerzensschreie der Mutter. Endlich bekam sie etwas zu fassen. Es fühlte sich an wie ein Fuß.
    «Habt Ihr was?», rief der Jedermann, der den massigen Leib der Frau massierte, ihn drückte und presste.
    «Einen Arm vielleicht oder einen Fuß.»
    «Zieht, aber behutsam. Wir haben nicht mehr viel Zeit.»
    Und Hella gehorchte. Sanft umschlossen ihre Finger das winzige Gelenk. Sanft zog sie. Doch nichts rührte sich, nur die Frau brüllte, als könne sie so das Kind aus sich herauspressen.
    Und Hella hielt das winzige Füßlein, hätte sich am liebsten

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