Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
die Ohren zugehalten, aber sie hielt, und als das Gebrüll der Frau verebbte, da zog sie wieder, und dieses Mal bewegte sich das Kind. Ein winziges Stück nur, aber es kam.
«Komm, mein Liebling», flüsterte Hella. «Komm ans Licht, komm in die Welt. Ich verspreche dir, sie ist schön, diese Welt. Hab keine Angst.»
Der Jedermann warf ihr einen Blick zu, doch da bäumte sich der Körper der Kreißenden auf, ihre Arme schlugen wild um sich. Sie trat mit dem Fuß gegen Hellas Rücken, aber Hella hielt das Kleine, hielt es ganz fest.
Plötzlich erschlaffte die Frau.
«Sie ist tot», erklärte der Mann. «Wir müssen uns beeilen, sonst stirbt uns das Kind auch noch.»
Hella sah den Mann voller Grauen an. «Sie ist tot?», fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte.
«Ja, das ist sie. Und ich versichere Euch, das ist besser so. Manche wollen zurück ins Leben, wenn sie ihr Kind erst sehen und hören. Sterben sie während der Geburt, ist es für alle das Beste. Vielleicht sogar auch für das Kind.»
Hella sah den Mann an. «Es stirbt nicht», sagte sie ganz ruhig. «Es will leben, ich kann es spüren. Und ich werde es auf die Welt holen.»
Und jetzt, da sie keine Angst mehr haben musste, der Frau weh zu tun, schob sie auch ihre zweite Hand in den Schoß, drängte sich zwischen Fleisch und Knochen hindurch, bis sie das andere Füßchen zu fassen bekam.
«Komm, mein Liebling, komm», flüsterte sie. «Gleich hast du es geschafft.»
Und der Jedermann presste den Bauch der Toten, und auf einmal schlüpfte das Kind heraus, lag blut- und schleimverschmiert zwischen den Schenkeln seiner toten Mutter. Und Hella lachte laut auf, und zugleich strömten ihr die Tränen über die Wangen.
Sie nahm das Kind, bedeckte sein verschmiertes Gesicht mit Küssen.
«Ihr müsst es schütteln, damit es zu atmen beginnt», befahl der Jedermann. Dann hob er seine blutverschmierte Hand und schlug dem Kind leicht auf den Hintern.
Und das Kind schrie. Es schrie mit aller Kraft, es brüllte mit hochrotem Gesichtchen, die Händchen zu Fäusten geballt.
«Haltet es, ich will die Nabelschnur durchtrennen», erklärte der Mann. Er nahm eine Schere, hielt sie kurz über die Flamme der Öllampe, dann durchtrennte er die letzte Verbindung des Kindes mit seiner toten Mutter.
Hella starrte den Jedermann an. «Was geschieht jetzt?», fragte sie, das blutige Kind fest an sich gepresst.
«Was soll schon geschehen? Ihr geht in Eure Kammer. Ich bringe Euch den Kessel und ein paar saubere Tücher. Kümmert Euch um das Kind. Wenn es lebt, ist es gut. Wenn es stirbt, so ruft mich.»
«Und die Frau?»
Der Jedermann zuckte mit den Achseln. «Sie wollte nicht mehr leben. Nun kann sie anderen von Nutzen sein.»
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Kapitel 40
I n Gustelies’ Küche herrschte Hochbetrieb, obwohl es noch nicht einmal Mittag war. Heinz Blettner, Krafft von Elckershausen, Bruder Göck und Gustelies selbst saßen um den Tisch herum. Gustelies hatte Pater Nau fest in ihrem Arm und flößte ihm Löffel für Löffel heißen Rotwein mit Honig ein.
«Wie gehen wir also vor?», fragte der Schultheiß.
«Ich schlage vor, wie immer, damit wir kein unnötiges Aufsehen erregen», antwortete Heinz. «Pater Nau wird im Beichtstuhl sitzen.»
«Aber nur mit einem heißen Fußbad und einer Decke über der Schulter. Außerdem werde ich eine Schale kochend heißes Wasser, in die ich Thymian streue, in den Beichtstuhl stellen, damit der Husten ihn nicht umbringt», erklärte Gustelies bestimmt.
«In Ordnung, meinetwegen auch das.» Dem Schultheiß war alles recht, Hauptsache, diese unselige Geschichte fand bald ein Ende.
«Ich kann mich am Altar zu schaffen machen», bot Bruder Göck an. «Ein Antoniter am Altar ist bei Gott nichts Ungewöhnliches.»
Pater Nau hustete, bekam einen Löffel voll Honig in den Mund geschoben und keuchte mühsam: «Ein Antoniter zur Beichtzeit am Altar ist genauso ungewöhnlich wie ein Antoniter im Frauenhaus. Bruder, du musst unter den Altar, unter die Decke, verstehst du?»
«Was?», empörte sich Bruder Göck. «Ich soll unter den Altar und mir von den Deckenfransen die Tonsur kraulen lassen? Kommt überhaupt nicht in Frage.»
Von Elckershausen maß den Mönch mit einem strafenden Blick. «Das ist eine Anweisung des Rates, Antoniter. Ihr kriecht unter den Altar und beobachtet das Gotteshaus. Sobald ein Verdächtiger auftaucht, läutet ihr die Messglocke.»
«Die ist ein sakraler Gegenstand», empörte sich der Antoniter
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