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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Ratte huschte über Juttas Füße.
    «O mein Gott», stöhnte sie. «Wie kann ein Mensch es hier nur aushalten?»
    Von dem Vorraum ging eine weitere Kammer ab, deren Tür offen war. Dort stand der Gelehrte im spärlichen Licht eines winzigen Fensterlochs. Er hatte sein schulterlanges, weißes, verfilztes Haar wie eine Frau im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Seine Füße steckten in Stiefeln, darüber trug er einen Kittel, der einem Nachthemd ähnlich sah. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Glaskolben, in dem eine grünliche Flüssigkeit brodelte. Daneben hing ein rauchender Kessel über einer Feuerstelle. Der Gelehrte stieß wie wild mit einem Mörser in eine kleine Marmorschale. «Ich hätte nie gedacht, dass Menschenknochen so hart sind», sagte er. «Meist brechen sie so leicht wie Birkenreisig, aber zum Zermahlen braucht man die Kraft eines Ochsen.»
    Er beugte sich über den Kessel, schnupperte daran, roch auch an dem brodelnden Glaskolben. Dann schöpfte er mit einer Kelle ein wenig Flüssigkeit aus dem Kessel, gab ihn in den Kolben. Ein leichter Knall ließ die beiden Frauen zusammenzucken, doch der Gelehrte klatschte begeistert in die Hände. «Habt ihr gehört?», schrie er. «Habt ihr das gehört?»
    «Ein Tauber hätte das gehört», erklärte Jutta.
    «Das heißt, dass das Gas mit dem Blut reagiert. Wenn man also menschlichen Urin erhitzt, so wird etwas freigesetzt, das mit kochendem Blut reagiert. Und natürlich mit einem winzigen bisschen Quecksilber. Man muss die Krankheit mit der Krankheit selbst bekämpfen. Ich wusste es! Paracelsus hat sich getäuscht.»
    Er führte ein paar Tanzschritte auf, die Jutta mit ungläubiger Miene betrachtete.
    «Ich brauche den Eiter aus den Wunden der Franzosenkranken», schrie er weiter. «Der Stumme muss ins Siechenhaus, muss denen die Wunden aufschneiden und die Flüssigkeit aussaugen. Am besten tut er das mit einer Pipette.»
    Bei der Vorstellung wurde Jutta so übel, dass sie das Laboratorium verlassen musste. Sie nahm im Gehen noch wahr, wie Minerva mit einem Eimer voller Wasser das Feuer unter dem Kessel löschte und energisch sagte: «Vater, du musst uns helfen.»
    «Aber doch nicht jetzt», rief der Mann. «Unnützes Weib, du siehst doch, dass ich kurz vor dem entscheidenden Durchbruch stehe.»
    Jutta wandte sich um, sah, wie Minerva das dürre Männlein beim Arm packte und einfach hinter sich herzog.
    In der Küche, die vor Dreck nur so starrte, wischte Jutta mit dem Ärmel einige Dinge, die sich nicht benennen ließen, von der Küchenbank, warf einen angeekelten Blick auf verschiedene Gefäße, in denen unbekannte Sachen in unterschiedlichen Schimmelstadien einen schlimmen Geruch verbreiteten.
    Minerva kam, drückte ihren Vater auf einen Schemel, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag. «Was ist los mit euch, ihr Weiber?», keifte der alte Mann. «Ihr stört meine Arbeit. Ich will, ich will, ich will euch nicht hier haben. Eiter will ich, von einem aus dem Siechenhaus, am besten eine frische Leiche, aber euch kann ich nicht brauchen. Macht euch fort, Weibsvolk, fort, fort mit euch. Bringt mir zuvor den Stummen. Herkommen soll er, auf der Stelle.»
    «Wo finden wir ihn?», fragte Jutta.
    «Wo schon? Wo soll er schon sein, der Stumme? Dort, wo er hingehört. Im Wald natürlich. Da, wo die seltenen Kräuter wachsen, dort, wo die Alraune schreit, wenn man sie zieht.»
    «In welchem Wald? Hier ist alles voller Bäume», sagte Minerva.
    «Das weiß ich doch nicht», brüllte der Gelehrte und riss mit seinen Händen an Minervas Haar, doch die hielt ihn weiter fest. «Im Wald eben. Holt ihn. Sagt ihm, er soll zum Siechenhaus. Und dass er mir auch frisches Blut mitbringt. Und eine Gebärmutter, aber nicht so zerfetzt wie beim letzten Mal. Auch das Herz einer Gebärenden brauche ich. Das letzte war gut, es hängt noch in der Kammer, um zu trocknen. Wenn es so weit ist, soll er es im Mörser zu Pulver stampfen. Das sagt ihm auch, dem Taugenichts. Und eilen soll er sich. Eiter, Blut, Herzen und ein paar Knochen von einem Neugeborenen brauche ich auch.»
    Minerva hielt ihren Vater mittlerweile so fest gepackt, dass der Alte sich allmählich beruhigte.
    «Wie schickt Ihr sonst nach ihm, wenn Ihr ihn braucht?», fragte Jutta.
    «Er ist einfach da. Er spürt es. Er ist ein Mann, ein Gelehrter fast, er kann es fühlen. Pah, das habt ihr nicht gedacht, ihr Gänse, oder?»
    «Dann ruft ihn jetzt.»
    «Seid ihr von Sinnen? Soll ich mich wie ein Narr vor meine Hütte stellen und

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