Die Verdammten der Taiga
drehen.
»Nein«, antwortete die Susskaja kurz.
»Aber warum dann –«
»Er soll das Gefühl haben, daß ich ihm helfe. Verstehst du das nicht? Er soll mit dem Gefühl sterben, daß ich sein Leben gerettet habe. Wie kann er schöner sterben …«
»Und es gibt keine Möglichkeit?«
»Nein. Soll ich ihm die Brust aufschneiden und die Kugel herausholen? Aus der freigelegten Lunge? Ohne Überdruck? Weißt du, was ein Pneumothorax ist? Ein offener Pneumothorax?«
»Ich bin nicht blind, Katja.«
»Ich kann die Wunde schließen, das ist alles. Vielleicht wird er nach innen verbluten, vielleicht wird er eine Sepsis bekommen … wenn er zu husten beginnt, wird es schneller gehen. Er wird sich die zerstörte Lunge herauswürgen …« Sie sah ihn groß und forschend an. »Freut dich das?«
»Nein, Katja. Ich bedauere ihn nur, wenn er länger am Leben bleibt, als es nötig ist … Wie lange wird er sterben?«
»Es kann schnell gehen … aber es kann auch Tage dauern.«
»Laß es schnell gehen, Katjuschka.«
»Soll ich ihn umbringen? Als Arzt!«
»Was kannst du als Arzt noch tun, Katja?«
»Ihm das Sterben erleichtern, ohne ihn zu ermorden. Verstehst du das, Andrej?« Sie zog die Hände aus dem heißen Wasser, sie waren krebsrot und begannen zu schwellen. »Ich werde das Loch in seiner Brust nähen, damit die Luftdruckunterschiede aufhören.«
»Und er hat keine Chance?«
»Es wäre ein Wunder, Andrej.«
Andreas blickte hinüber zu dem Tisch und dem langausgestreckten nackten Serikow. Putkin sprach mit ihm. Er erklärte ihm gerade ungerührt, warum er Uniformen haßte und Offiziere im besonderen.
»Haben wir uns nicht schon an Wunder gewöhnt, Katjenka?« fragte Andreas. Sie schüttelte den Kopf. Nadeshna hatte ihr die langen schwarzen Haare hochgebunden und den dicken Knoten mit einem Bindfaden umwickelt. Es sah erschütternd lächerlich und doch schön aus.
»Waska Janisowitschs rechte Lunge ist völlig zerstört …«
Sie ging zu Serikow, beugte sich über ihn, streichelte über sein bläuliches Gesicht und trat gleichzeitig Putkin, der nicht zur Seite rücken wollte, mit aller Wucht gegen das Schienbein.
Putkin grunzte, spuckte auf den Boden und trottete zum Ofen. Dort ließ er sich auf die Bank fallen, streckte die dicken Beine von sich und gönnte sich den Genuß, laut zu furzen. »Mein Protest!« sagte er dabei. »Ich habe dem General erklärt, daß ich auf alles Militärische scheiße.«
»Es sind alles Kreaturen, Washenka –«, sagte die Susskaja mit einer Zärtlichkeit, die Andreas weh tat. Nur das Wissen, daß Katja mit letzter Kraft eine Liebe vorspielte, um Serikow das Ende zu erleichtern, besänftigte seine seelische Unruhe.
»Hör sie nicht an und vergiß, was sie zu dir gesagt haben. Ich werde dich operieren, ich werde dich retten. Du weißt, ich bin eine gute Ärztin. Erinnerst du dich noch, wie du gesagt hast: Von dir ließe ich mir den Kopf abschneiden … ich weiß, du nähst ihn mir richtig und vielleicht noch besser an … Weißt du das noch, Washenka?«
Serikow nickte. Seine Augen, diese verflucht klaren und voll Leben steckenden Augen, streichelten die Susskaja. Sprechen konnte er nicht mehr … seine Mundhöhle hatte sich mit Blutschaum gefüllt, aber er zeigte seine Angst nicht, daran zu ersticken.
»Wenn die Wunde genäht ist, kannst du auch wieder sprechen«, sagte sie. »Ich sauge dir den Mund leer von diesem Blut. Hast du Schmerzen?«
Serikow schüttelte den Kopf. Er spürte wirklich nichts, nur dieser ständige Druck in der Brust und die Lichtverschiebungen vor seinen Augen störten ihn. Die Helligkeit im Zimmer wechselte ständig … von strahlendem Licht zu fader Dämmerung.
Der Tod faßte Serikow an, aber er wußte es nicht.
»Soll ich helfen?« fragte Andreas vom Herd her.
»Nein.«
»Ich kann die Instrumente anreichen …«
»Ein Loch vernähen kann ich allein …«
Sie beugte sich wieder über Serikow, riß mit einem Ruck das Stoffknäuel weg, das bisher die Wunde notdürftig verschlossen hatte, und setzte schnell zwei Klammern, bevor sich die Lunge durch den Luftdruckunterschied weiter aufblähte. Die einsetzende Blutung stand auch, aber das war nur optisch … jeder wußte, daß dem Blut nur der Weg nach außen verschlossen worden war und alles jetzt in den Brustraum sickerte. Stumm standen die anderen an den Wänden herum und beobachteten die Susskaja, wie sie die Fäden in die Nadeln zog. Fäden aus einem Schal, den Nadeshna bisher um ihren Hals
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