Die Verdammten der Taiga
einem Seil hinter sich durch den Schnee. Er ging langsam, als müsse er eine ungeheure Last hinter sich herziehen und ließ den Blick nicht von der Susskaja, die sich wieder um die Schußwunde kümmerte.
»Da ist er!« sagte Putkin dumpf. »Dein Gott, Nadeshna, ist ein perverser Bursche. Konnte er Andrej nicht eine Stunde länger im Wald lassen? Aber nein … er läßt ihn kommen! Was soll man jetzt tun? Soll ich Andrej auch erschießen? Ein Aufwaschen wär's: Die Liquidierung von Katjas Liebhabern – und Ruhe ist auf der Welt!«
»Putkin«, schrie die Susskaja wieder. »Komm her, du Lump! Nadeshna … Semjon Pawlowitsch … hilft mir denn keiner?«
»Einen Namen hast du vergessen …«, sagte Andrej hinter ihr. »Aber ich bin da.«
Sie warf den Kopf herum, starrte zu ihm hinauf, und ihr verzerrtes Gesicht war die nackteste Qual, die er je gesehen hatte.
»Hilf mir …«, sagte sie leise. »Bitte …«
»Wer ist das?« fragte Andreas und rührte sich nicht.
»Der General …«
»Ich sehe, daß er ein General ist«, unterbrach er sie grob. »Was ist er für dich? Du umarmst ihn, du küßt ihn, du zitterst um sein Leben …«
»Er muß ins Haus!« schrie die Susskaja. »Zu Erklärungen haben wir ein ganzes Leben lang Zeit … aber er hat nur noch einen Hauch von Leben! Hilf mir tragen …«
»Wer ist er?« fragte Andreas wieder und rührte sich nicht.
»Ich werde ihn doch erschießen müssen –«, sagte Putkin am Haus. »Die Probleme werden unüberblickbar. Man kann sie nur so lösen …«
»Nur immer töten, töten, töten«, sagte Morotzkij heiser. Er putzte seine beschlagene Brille mit einem Hemdzipfel. »Etwas anderes fällt Ihnen nicht ein?«
»Dann machen Sie doch einen Vorschlag, Semjon Pawlowitsch. Mit ›rouh-rouh‹ ist hier nichts mehr getan. Und wie sich Beutelratten bei der Paarung benehmen, ist jetzt völlig blödsinnig. Los, einen Rat, Sie Sprüchescheißer! Töten gehört zum Urtrieb des Menschen … und wir leben hier wie am Uranfang der Menschheit.«
»Siehst du nicht, daß er einen Lungenschuß hat?« sagte die Susskaja und ließ Serikows Kopf auf den Pelz sinken. Er starrte nun Andreas an, mit wachen Augen. Die Schmerzen hatten sich noch nicht geballt, es war zu ertragen, daß ein Loch in seiner Brust war, die Kugel in der Lunge stak, plattgedrückt, nachdem sie eine Rippe zersplittert hatte, aber darum doppelt so grausam, denn welch ein Loch reißt eine plattgedrückte Kugel in eine Lunge!
Das ist er, dachte Serikow seltsam klar. Das muß er sein. Der Deutsche Andreas Herr. In Abwesenheit von mir erschossen auf dem Schießplatz von Irkutsk. Nun bin ich hier, um aus einem Symbol eine Tat zu machen. Katja Alexandrowna, habe ich noch Zeit genug, einmal die Pistole zu heben und abzudrücken?
Seine Hände begannen, über den Mantel und den Schnee zu tasten und zu suchen. Sie muß hier sein, dachte er. Ich hatte sie in der Hand, als ich zusammensank. Katja, hilf mir, sie zu finden …
»Lieg ruhig, Washenka –«, sagte die Susskaja wieder. »Ganz ruhig. Wenn keiner uns helfen will … ich schleppe dich auch allein ins Haus. Aber es wird weh tun … beiß die Zähne zusammen, hörst du, beiß die Zunge ab, wenn's sein muß, aber bleib ein Held –«
»Waska also heißt er«, sagte Andreas ungerührt. »Und weiter? Heißt er auch Liebling, mein Bärchen, mein starker Wolf, mein aufgebrochener Himmel, mein Leben, mein alles, meine Sonne, du Gott in meinen Armen …?«
Es waren die Worte, die Katja ihm ins Ohr schrie, wenn sie im Glück davonschwammen und ihre Körper in der Leidenschaft dampften. Worte, die nie ausreichten, das unsagbare Glück zu benennen.
Die Susskaja antwortete nicht. Sie stand auf, packte Serikow an den Stiefeln und begann, ihn über den verharschten Schnee zu ziehen. Sein Pelzmantel wirkte dabei wie ein Schlitten … es war leichter, als sie geglaubt hatte. Serikow, der jetzt den Schmerz in seiner Brust spürte, begann mit den Zähnen zu knirschen.
Sie schleifte ihn fünf Meter weit, und Andreas ging neben ihr her. In gleicher Höhe wie der General zog er seinen großen grauen Wolf durch den Schnee. Das Gebiß mit den starken, spitzen Reißzähnen bleckte in der kalten Sonne, und die Schnauze war genauso blutverkrustet wie der Mund Serikows, über dem noch immer die blutigen Blasen sich aufblähten.
»Nimm den Wolf und überlaß ihn mir«, sagte Andreas und hielt Katja an. Sie schüttelte seine Hand ab, mit einer so wilden Bewegung, daß es fast wie ein
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