Die Verdammten der Taiga
Vereinigung, die sie beide in sich spürten. Das Haus! Das Haus muß fertig werden! Putkins Kreml! Dann wird sich vieles ändern. Vielleicht wird man sich mit Nadeshna hinter den dicken Stämmen verschanzen müssen, bis sich die anderen daran gewöhnt haben, daß das starke Leben immer das schwache Leben besiegt. So ist's immer gewesen, in der Natur gibt es keine anderen Gesetze … und wo gibt es mehr Natur als hier in der Taiga?
»Wir steuern auf eine Tragödie zu«, flüsterte oben auf dem Ofen die Susskaja kaum hörbar in Andreas' Ohr. Es klang nach unten, als wisperte sie im Schlaf. Sie hatte sich vom Ofenrand weggerollt, über den sie, von den Schatten geschützt, Putkin und Nadeshna beobachtet hatte. Als Frau, die für ihre Liebe ihr ganzes bisheriges Leben aufgegeben hatte, erkannte sie sofort, was sich da vor ihren Augen vorbereitete. Sie wußte ja nicht, was bereits in Putkins halbfertigem Haus geschehen war, und es war auch nicht mehr nötig, das zu wissen. »Putkin hat sie erobert …«
»Wen?« fragte Andreas schläfrig zurück. Sie hielt ihm den Mund zu und biß ihm ins Ohr.
»Leise. Leise! Nadeshna –«
»Putkin und Nadeshna? Blödsinn …«
»Es mußte so kommen, ich habe immer darauf gewartet. Nadeshna ist ein kleines sanftes Biest –«
»Dann geschieht's ihr recht.«
»Nicht sie bedauere ich … Putkin! Igor Fillipowitsch wird sich zu einem Tanzbären an ihrer Leine degradieren lassen. Er ist genau der Mann, der vor einer Frau auf die Knie fällt –«
Sie drückte sich an Andreas, legte die Arme um seine Hüften und schob ein Bein über seine Lenden. »Ich liebe dich, Andruscha …«, sagte sie dunkel.
»Ich weiß.« Er nickte im Halbschlaf. »Ich weiß. Der Wodka war wunderbar –«
Durch den dunklen Raum pfiff und röchelte Morotzkijs asthmatisches Schnarchen.
Viel später, und dieses Mal schlief sogar die Susskaja, kroch Putkin wie ein Lurch lautlos die drei Meter über die Dielenbretter zu Nadeshna. Er mußte sie vorsichtig umarmen und ihr den Mund zuhalten, als sie laut und ungehemmt seufzen wollte –
Plötzlich war der Sturm vorbei.
Niemand hatte es bemerkt … in der Nacht hörte das Heulen auf, das Dach klapperte nicht mehr, es war alles so lautlos, als habe der Schnee nun wirklich die Welt erstickt. Es war nach drei Wochen, an einem Freitag, wie Morotzkij sagte, denn er führte Kalender, indem er an einem Balken die Tage abstrich. Ob es wirklich Freitag war, sei dahingestellt … Morotzkij hatte einfach mit einem Montag begonnen, indem er sagte: »Heute ist Montag!« Von da ab galt seine Zeitrechnung. Man hatte hier eine eigene Welt erschaffen, also konnte man sich auch einen eigenen Kalender halten.
An diesem Freitag wachten sie fast gleichzeitig auf, weil Maruta nebenan einen Höllenspektakel aufführte, laut brüllte und gegen die Wände donnerte. Sie hatte als erste bemerkt, daß der Sturm vorbei war und mit ihm ihre Gefangenschaft in dieser warmen hölzernen Höhle.
»Stille«, sagte Nadeshna. Sie saßen alle auf ihren Schlafplätzen und lauschten. »Vollkommene Stille … die Welt ist untergegangen.«
Sie schlief wieder bei Morotzkij … eine heimliche Nacht mit Putkin, wie diese vom heißen Wodka berauschte, war nicht wiedergekommen. Aber Nadeshna hatte sich verändert, nur merkte es Morotzkij nicht. Er war mit Tieren vertrauter als mit der Seele einer Frau. Er fühlte Nadeshnas Körper unter seinen knochigen Händen, ihm genügte die Wärme ihres zarten, glatten Leibes … daß ihre Küsse flüchtiger wurden, ihr Seufzen gequälter, ihre Mitarbeit in der Liebe völlig aufhörte und sie nur noch ein Stück Fleisch war, das er abtastete, das merkte er nicht. Maruta, die Elchkuh, umsorgte er dafür um so mehr. Er brachte ihren Kot jeden Tag weg, auch wenn er jedesmal gegen die Faust des Sturmes ankämpfen mußte, er wischte den Urin vom Boden und wusch den aufgetrennten Sack, den er als Scheuerlappen brauchte, im Schnee aus. Er saß stundenlang bei Maruta, erzählte ihr aus seinem Leben und ›verkindischte‹ immer mehr, wie Putkin es nannte.
»Es ist vorbei«, sagte Putkin jetzt. »Freunde, wir haben es überstanden. Wetten, daß draußen die Sonne scheint? Die schönste Sonne, als habe nicht drei Wochen lang der Teufel gewütet?«
Er zog sich an, warf den Pelz über und drückte die Tür auf. Wenn auch ein neuer Schneeberg den Ausgang versperrte … das helle Licht des Tages flutete in das Haus, eine goldene Helligkeit, die wie Medizin wirkte. Alle sprangen
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