Die Verdammten der Taiga
Armen packten und hinaustrugen. Er sang mit einer schauerlich blechernen Stimme, schrie ab und zu: »Wir haben Maruta vergessen! Maruta wollte auch gratulieren! Ich habe ihr einen Kopfputz geflochten! Holt meine Marutuschka!« und sang dann weiter das unanständige Lied von dem Kosaken, der jeden Weiberrock hochhob, um ›Partisanen im Gebüsch‹ zu suchen. Was beweist, wie besoffen Morotzkij war, denn singt solche schweinischen Lieder ein ehrbarer Professor der Verhaltensforschung?
An der Tür zögerte Andrej und sah Katja fragend an. Nadeshna allein zurücklassen bei Putkin? Sie verstand seinen stummen Blick und nickte. Erst draußen, als sie Morotzkij durch den Schnee schleiften, sagte sie: »Es muß sein, Andrejenka. Nicht nur heute müssen sie weiter miteinander leben, sondern vielleicht immer. Hast du Hoffnung, aus der Taiga herauszukommen?«
»Ja.« Andrej blieb stehen und hielt mit der anderen Hand Morotzkijs Kopf fest, der immer wieder auf die Brust schlug, als sei sein Genick gebrochen. »Wir haben ein Flugzeug.«
»Mit Kufen.«
»Ich werde hölzerne Schwimmer konstruieren und an das Gestänge montieren. Das ist eine Arbeit, von der ich als Ingenieur etwas verstehe. Wir werden auf dem Fluß starten können und irgendwo auf einem Fluß oder einem See wieder landen. Schon morgen beginne ich mit der Arbeit. Putkin und ich werden die Maschine aufs Ufer ziehen.«
»Du hast mit ihm darüber gesprochen?«
»Wir teilen uns die Winterarbeit jetzt. Er baut seine geradezu verrückte Goldwaschmaschine, ich kümmere mich um das Flugzeug. Wenn die Schneeschmelze vorbei und der Fluß eisfrei ist, soll alles einsatzbereit stehen.«
»Und unser Kind, Andrej?«
Er lachte und hielt wieder Morotzkijs lallenden Kopf fest. »Wir werden ihm später erzählen, wie es im Alter von drei Monaten über das grüne Meer der Taiga geflogen ist … in eine bessere Welt.«
»Ist sie wirklich besser, Andrejuscha?« Sie ruckten wieder an Morotzkij und schleiften den Betrunkenen weiter. »Was habt ihr im Westen zu bieten?«
»Freiheit, Katja, Freiheit.«
»Was ist Freiheit?«
»Daß der Mensch ein Mensch sein darf.«
»Absolut?«
»Absolut.«
»Kann der Mensch das überhaupt vertragen?«
Das war eine teuflische Frage … wie soll man darauf eine Antwort finden?
Sie erreichten die Hütte, schleiften Morotzkij auf sein Fellager und setzten sich dann schwer atmend auf die Bank in der nun kahlen, schmucklosen ›schönen Ecke‹. Morotzkij begann sein pfeifendes Schnarchen, grinste schauerlich in einem anscheinend seligen Traum und gab ein paar bestialische Winde von sich.
»Ich habe Angst um Nadeshna –«, sagte Andreas.
»Ich nicht. Wir sollten schlafen gehen.«
»Ohne auf Nadeshnas Rückkehr zu warten?«
»Ist sie ein unmündiges Kind?« Die Susskaja begann, sich zu entkleiden, streifte Rock und Bluse ab und lief nackt zum Ofen, neues Holz anzulegen. Ein herrlicher Mensch, an dem man sich nie sattsehen konnte.
»Aber Putkin ist ein Büffel!« sagte Andreas stockend. »Wenn er Nadeshna niedertrampelt –«
»Er wird sie nicht anrühren.« Sie kletterte auf den Ofen und machte oben auf der Plattform das Lager zurecht. Dann kämmte sie ihr langes Haar nach hinten und band es im Nacken mit einer Kordel zusammen. Das Feuer auf dem offenen Herd flackerte bis zu ihr hinauf und tauchte ihren nackten Körper in zuckendes Rot. »Ich habe mir etwas überlegt«, sagte sie, »wie man den Mangel an Nähgarn überwinden kann. Ich werde von allen größeren Tieren, die wir fangen und schießen, die Sehnen herauspräparieren und zum Nähen verwenden. Außerdem verliere ich so die Übung im Operieren nicht.« Sie klopfte auf die ausgebreiteten Felle und lächelte Andreas zu.
»Komm zu mir, mein Liebling.«
Putkin lief in seinem großen Haus herum wie ein Raubtier in einem Käfig, von Ecke zu Ecke, von einem Schatten zum andern. Nur in die Mitte kam er nicht, denn dort stand Nadeshna wie eine in die Wildnis Ausgesetzte.
Sie hatten bisher noch kein Wort miteinander gesprochen, und daß man sie jetzt allein ließ, war eine Gemeinheit, die Putkin – das schwor er innerlich mit schauerlichen Eiden – Andrej und Katja heimzahlen wollte. Er hatte sich auch schon eine schöne Quittung überlegt: Man konnte den General Serikow aus dem Eis heraushacken, hinübertragen zu Andrejs Hütte, vor die Tür stellen, anklopfen, ein paarmal rufen: »Katja Alexandrowna, komm heraus, mein schwarzes Schwänchen, ein guter Freund sehnt sich nach dir
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