Die Verdammten der Taiga
…!«, und wenn sie dann die Tür aufmachte, würde sie den General vor sich stehen sehen, in voller Uniform und stramm grüßend. Sie würde aufschreien und in eine lange Ohnmacht fallen.
Es waren so schöne Gedanken, daß Putkin sich endlich überwand, stehenblieb, allerdings in der Ecke, die den meisten Schatten hatte, und fragte:
»Warum stehst du so herum, he? Semjon Pawlowitsch braucht dich. Vielleicht gehört er zu den Besoffenen, die sich singend in die Hose pissen?«
»Ich habe dich belogen«, sagte Nadeshna leise. Ihre kindliche Stimme, so zart und rein wie ihr Engelsgesicht, bohrte sich in Putkins Seele. Er stöhnte verhalten auf. »Igor Fillipowitsch, ich … ich habe dich nie geliebt …«
»Das weiß der Idiot Igor Fillipowitsch mittlerweile!« knirschte Putkin. »Dazu braucht man nicht zurückzubleiben.«
»Ich bin in den Nächten zu dir gekommen, weil es mir Freude machte. Das war alles. Ich bin ein Luder, Igor Fillipowitsch.«
»Wahrhaftig, ja!« Putkin schlug die großen Fäuste zusammen. Aber im Grunde war er jetzt völlig hilflos, total entnervt durch die Selbstbezichtigung Nadeshnas.
»Man sollte in dein böses Ding einen Fleischerhaken treiben und dich daran aufhängen.«
»Ich habe noch nie einen Mann gekannt wie dich, Igor. Ich will auch nie wieder einen solchen kennenlernen. Ich werde auch nicht mit Semjon Pawlowitsch zusammenleben … wir werden uns alle zerstreuen und nie mehr wiedersehen, wenn wir aus der Taiga heraus sind. Und das ist gut so, Igor Fillipowitsch. Es ist die Hölle, ohne Lüge und ohne Maske zu leben. Welcher Mensch hält das auf die Dauer aus? Ich weiß das jetzt … und das wollte ich dir sagen.«
»Zugegeben, Nadeshenka.« Putkin kroch noch tiefer in die Schatten seiner Ecke. »Aber wer hindert uns daran, zusammenzuleben und uns gegenseitig zu belügen? Ich könnte es ertragen, wenn du nur um mich bist.«
»So liebst du mich?« fragte sie kaum hörbar.
»Ja –«
»Das ist schrecklich.« Sie ging langsam zur Tür, und Putkin knirschte mit den Zähnen, spreizte die Hände und hielt sich mit einer irrsinnigen Gewalt zurück, nicht vorzuspringen und Nadeshna zurückzureißen von dem Ausgang. Wenn sie das Haus verlassen hat, habe ich sie verloren, schrie es in ihm. Warum hat sie mir das alles gesagt, warum ist sie zurückgeblieben, wo soll da ein Sinn liegen … wenn nicht der, daß auch sie mich liebt? Wie kann man die Mauer durchbrechen, die zwischen uns liegt? Was ist das überhaupt für eine Mauer? Warum ist denn keiner da, der uns hilft? Warum sind wir jetzt so allein. Hilf mir doch einer … mein Gott, hilf mir doch … mein Gott –
Putkin drückte die flachen Hände gegen die Brust und spürte, wie sein Herz hämmerte. Nach Gott hatte er gerufen. Er, der Kommunist, der Marienbespucker, der aufrechte Atheist, der Altarzertrümmerer. Nach Gott gerufen. Hilf mir, hilf mir …
»Nadeshna –«, stöhnte er laut. »Das ist doch alles nicht wahr! Ich kann ein Mensch sein wie jeder andere, ich verspreche es dir. Was soll ich dir denn noch sagen?«
»Nichts mehr, Igorenka, nichts mehr.« Sie stieß die schwere Tür auf, der Nachtfrost wallte herein, die heiße Feuchtigkeit im Raum wurde zu einem Nebel, der Nadeshnas Gestalt wegtrug wie ein Geisterbild. »Wir zwei zusammen … wir wären das unglücklichste Paar unter dem Himmel.«
Dann war sie weg, und Putkin tappte zur Tür, zog sie zu, ging zu seinem riesigen Ofen, legte sich auf die breite Ofenbank und starrte gegen die runde Balkendecke.
Es gab noch eine Hoffnung, die große, ständige Verbündete der Russen: die Zeit. Bis zum Frühling waren es noch drei Monate, vielleicht sogar noch vier hier oben in der wüsten Einsamkeit. Vier Monate können vieles verändern, auch die geheimnisvolle Seele einer Frau.
Putkin beschloß, ab sofort ein anderer Mensch zu werden.
Schon der nächste Morgen brachte die erste Überraschung:
Der überwucherte Felsklotz Putkin, der über und über behaarte Riesenbär, dieses Ungeheuer aus Muskeln und Haaren, hatte sich rasiert. Andreas und die Susskaja starrten ihn fast entsetzt an, als sie ihn am Morgen draußen am Flußufer trafen, um aus einem der in die Eisdecke gehackten Löcher klares Wasser zu schöpfen. Nadeshna und Morotzkij schliefen noch.
»Warum glotzt ihr so?« brüllte Putkin sofort. »Nur weil ein Mensch mit Kultur sich sauber hält, fallt ihr auf den Rücken? Seht euch mal an! Eine Schande ist das, eine Verhöhnung der Zivilisation! Lauft herum wie das
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