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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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keinen Raum und keine Zeit mehr, nur Tag und Nacht, denn auch Morotzkijs Uhr war am neunten Tag stehengeblieben, nachdem er aus seiner Zugschlinge weggerutscht und auf die Erde gefallen war. Beinahe hätte man ihn überrollt, denn es ging einen leichten Abhang hinunter, und der Wagen drückte sie alle vorwärts. Sie mußten schneller laufen, als sie noch Kraft in ihren Beinen hatten. Unten in der Senke verlor Morotzkij zum erstenmal die Nerven. »Erschlagt mich doch!« schrie er. Seine bisher geradezu vornehme Stimme war schrill und weiberhaft hysterisch. »Los! Haut mir den Schädel ein! Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Belastet euch nicht mit etwas so Sinnlosem wie mich.«
    Die Susskaja brachte Semjon Pawlowitsch mit ein paar Schlucken Muskatellerwein wieder auf die Beine. Später stand Morotzkij hinter dem schrecklichen Wagen und weinte.
    Am zehnten Tag nun schrie Morotzkij plötzlich auf und zeigte in den Himmel. Sie schwankten durch ein Tal, der Wald war lichter geworden, Marder, Hermeline und Iltisse huschten vor ihnen her, als seien es winzige Hunde, die sie begleiteten. Kräftige, schöne Silberfüchse schnürten ohne Scheu über ihren Weg und blieben sogar stehen, um die seltsamen Wesen zu betrachten.
    »Wasser!« schrie Morotzkij. »Wasser!«
    Der Schrei ließ sie alle zusammenzucken. Von hinten kamen Katja und Nadeshna gerannt, sogar Benerian, der in den letzten Tagen fast wortlos auf seinem umgeklappten Flugzeugsessel mitreiste, schien das zu begreifen und kreischte: »Wasser! Hehehe, Wasser …«
    »Wo?« rief die Susskaja. »Semjon Pawlowitsch, wo?«
    »Er zeigt in den Himmel!« Putkin röchelte vor Erschöpfung. »Sollen wir ihn neben Benerian auf den Wagen schnallen, Katja Alexandrowna? Er ist soweit.«
    »Ihr Blinden«, brüllte Morotzkij. »Da, seht sie doch! Hört sie doch! Kraniche! Und wilde Schwäne! Da …«
    Über die Wipfel der Lärchen und Kiefern flatterten ein paar schemenhafte Gebilde. Erschöpfung und Schweiß vor den Augen trübten jedes Bild … aber sie sahen wenigstens die Umrisse großer Vögel. Den Flügelschlag hörten sie nicht, denn in ihrem Kopf hämmerte und summte das kochende Blut.
    »Wilde Schwäne!« stammelte Morotzkij und umklammerte seinen Schädel. »Da ist Wasser! Wasser! Viel Wasser! Ein Fluß –«
    »Aber wo? Links, rechts oder vor uns?« Andreas beobachtete den kleinen Schwarm. Er zog einen großen Kreis und flatterte nach links davon. Aber das bedeutete nichts, denn die Schwäne kamen wieder, als wollten sie die Richtung verwischen, und strichen nach rechts ab. Putkin fluchte gottserbärmlich. Keiner von ihnen kannte einen anderen Menschen, der so fluchen konnte wie er.
    »Wer ist für rechts?« fragte er.
    Alle hoben die Hand. Es war ja gleichgültig, in welcher Richtung man zusammenbrach. Die Schwäne waren vom grauen Himmel verschwunden, dafür hoppelte ein fast weißfelliger Hase durch den Wald.
    »Der Winter!« sagte Morotzkij fast mit Ehrfurcht. »Leute, der Winter fängt an zu leben. Morgen, übermorgen wird es schneien.«
    »Ich bringe ihn um!« knirschte Putkin und spannte sich wieder in die Zugschlinge. »Wer kann dieses Prophetengestammel noch ertragen?«
    Sie schwenkten nach rechts ab und zogen nun wieder, ohne es zu wissen, nach Süden. Aber den Fluß fanden sie nicht. Die Schwäne und Kraniche verließen sie, und es wurde kälter und kälter, fast mit jeder Stunde.
    Der Wald starb. Die Birken wurden kahl. Wie schreckliche Gerippe stachen sie jetzt schon in den grauen Himmel.
    »Kein Regen dieses Jahr?« keuchte Putkin. »Hitze und dann gleich Schnee? Welch eine Verrücktheit. Und wir müssen mitten drin sein …«
    Am Nachmittag des zehnten Tages stand plötzlich ein Rentierhirsch vor ihnen. Ein kapitaler Bursche war's, mit einem kräftigen Körper und einem mächtigen, ausladenden Geweih. Nur war es verkrüppelt … die linke wuchs in die rechte Stange hinein – es sah erstaunlich aus, wie ein zusammengeflochtener Drahtverhau. Putkin fluchte wieder und schrie: »Wer hat mich daran gehindert, den Gewehrkolben zu schnitzen? Jetzt hätten wir einen Braten in der Pfanne! Sie waren es, Katja Alexandrowna! Nun fangen Sie ihn auch! Los! Strecken Sie das Händchen aus. Er ist ein Hirsch, der schnuppert eine Weiberhand …«
    »Ein Einzelgänger!« Morotzkij stützte sich auf Andreas. »Ein Krüppel! Aus der Herde gestoßen …«
    »Wie wir!« Putkin winkte. »Komm her, Genosse! Laß dich auffressen!«
    »Das beweist, daß Sie ein Rindvieh sind,

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