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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Geweihes durchbohren. Putkin kugelte sich weg, trat um sich, von der Seite hieb Andreas auf den goldbraunen Rücken des Ren, aber seine Schläge federten zurück, als träfen sie auf Gummi.
    »Er vernichtet uns!« jammerte Nadeshna. Sie saß unter dem Karren, hielt den ohnmächtigen Morotzkij in den Armen und streichelte sein verdrecktes, bleiches Gesicht. »Herrgott, er vernichtet uns –«
    Das alles war schneller geschehen als erzählt, nur Sekunden waren es, aber sie dehnten sich wie vom Löffel tropfender Sirup. So sah auch keiner in diesem Wirrwarr aus Leibern, Erde, Staub und Geschrei, daß die Susskaja ruhig, als wolle sie jemanden begrüßen, an den tobenden Hirsch herantrat. Aber statt der Hand hob sie die Axt und fixierte genau eine Stelle hinter dem dicken muskulösen Hals. Mit zusammengepreßten Lippen und angehaltenem Atem ließ sie dann die Axt heruntersausen, als der Hirsch so gut stand, daß sie seinen Nacken treffen konnte. Er war gespannt, zu neuem Zustoßen gebeugt, und der stachelige Verhau des Geweihes zuckte gegen den herumrollenden Putkin.
    Es war ein merkwürdiger Ton, als die Schneide der Axt in die Nackenmuskeln drang. Mit einem Gebrüll, daß das Blut gefror, schleuderte der Hirsch den Kopf empor, starrte fast ungläubig Katja Alexandrowna an, als wollte er sagen: Was ist das? Ein Weib tötet mich? Mich, einen Hirsch, tötet ein Weib? … dann knickte er in den Vorderläufen ein, Blut quoll aus der Nackenwunde, sein verkrüppeltes Geweih fetzte den Boden auf, grub mit drei, vier gewaltigen Schlägen ein Loch in die Erde, und dahinein legte er seinen mächtigen, schönen Kopf, fiel auf die Seite, streckte sich zuckend und ergab sich seinem verlorenen Schicksal.
    Putkin war aufgesprungen, riß die Axt aus dem Nacken des Tieres und hieb noch viermal zu. Er trennte fast den Kopf vom Rumpf und schlug noch zu, als der Hirsch längst verendet war. Erst als Katja dem rasenden Putkin undamenhaft in den Hintern trat und ihm die Axt aus den Händen riß, beruhigte er sich, fiel neben dem toten Tier auf die Knie und drückte beide Hände auf sein tobendes Herz.
    »Er hat mich zum Feigling gemacht …«, keuchte er. »Er hat es geschafft. Katja, wo wäre ich jetzt ohne Sie? Als ich auf der Erde lag und er kam über mich … ich schwöre Ihnen, ich war bereit, vor Angst in die Hosen zu scheißen. So etwas von Tier, so etwas …«
    Er fiel neben dem Hirsch auf die Erde, legte seinen Kopf auf das dampfende Fell und riß den Mund auf wie ein erstickender Fisch. Andreas stand noch immer mit gespreizten Beinen und schwang seinen armseligen Holzknüppel.
    »Welch ein Schlag, Katjenka«, sagte er. Sein Atem rasselte, als bestände seine Lunge aus Tausenden Bleikugeln. Er starrte in ihr verdrecktes Gesicht, und die Wildheit dieses Kopfes war so ungeheuerlich, daß ihm der Atem stockte. »Ich habe Angst vor dir …« Eine Schwäche, wie am Rande einer Ohnmacht, durchzog ihn. Der Knüppel fiel aus seinen Händen. »Katjuschka, ich habe Angst vor dir –«
    Dieser Abend wurde ein Fest, anders konnte man es nicht nennen.
    Putkin hatte den Renhirsch ausgeweidet und aus der Decke geschlagen, Nadeshna schnitt das Fleisch in handliche Portionen und briet an einem Spieß einen großen Brocken für das Abendessen, die Susskaja schabte die Innenseite des Fells mit einem Messer sauber und überlegte, wie man es gerben könne ohne Salz, Alaun oder Gerbsäuren aus Eichen- und Weidenrinden. Morotzkij hatte eine leichte Gehirnerschütterung behalten und nach seinem Erwachen mit feierlicher Wut die nutzlose Riesenuhr an einem Baum zerschmettert. Andreas schnitzte einen Gewehrkolben … er hatte dazu den dicken knochigen Wurzelstock einer Zeder herausgehauen und bearbeitete ihn nun mit Beil und Säge, Messer und einer Stahlfeile.
    Mit der Nacht wurden auch wieder die Stimmen der Taiga laut. Der Wind schlief ein, nur die Kälte blieb. Der graue Himmel wurde schwarz, die fast leergefegten Lärchen griffen mit ihren Ästen wie Totenfinger in das Dunkel, und deutlich wehte jetzt das jaulende Heulen zu ihnen hin, mal lauter, mal entfernter, wie Wellen, die träge an ein Ufer lecken.
    »Wölfe –«, sagte Morotzkij. Er lag auf einem Kissen mit seinen durchgerüttelten Kopf, und Nadeshna sorgte rührend für ihn. Putkin unterließ eine giftige Bemerkung, was bewies, wie erschöpft auch er war, denn daß Nadeshna sich gerade das Gerippe Morotzkij, zum Abfluß ihrer verdrängten Liebe auserwählte, hätte noch vor drei Tagen Anlaß zu

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