Die Verdammten der Taiga
… jener stille Frost, der sich in alles hineinbohrt und dort sitzen bleibt wie eine zweite Seele.
Am Morgen wachten Putkin und Andreas fast gleichzeitig auf. Sie krochen aus ihrer Deckenwurst, Andreas vorsichtig und langsam, um Katja nicht zu wecken, und trafen sich bei dem erloschenen Feuer. Putkin stank nach Alkohol, als habe er in Schnaps gebadet, dehnte sich, daß die Glieder knackten, und spuckte in den Schnee. Der Wald schien erstarrt. Der Tag war kein Tag mehr, sondern eine graue, lichtlose Masse, ein Klumpen Teig aus weißem Quark. Putkin warf sich die rohe Rentierhaut um die Schulter und pustete in seine Hände. Sein Atem wurde sofort zu einer nebeligen Wolke, die träge davontrieb und dann zerfloß.
»Sagen Sie bloß nicht, Sie wollen mit unserem Mistkarren weiterziehen!« sagte Andreas. Er fror, seine Decke hatte er um Katja gewickelt.
»Was sonst, he? Wollen Sie hier hocken bleiben?« Putkin stampfte unter der Zeltplane hervor und tappte zum Wagen. Der war fast eingeschneit, ein stiller Wind hatte in der Nacht den Schnee an der Seite hochgetrieben. »Wir werden ihn nur leichter machen. Zuviel Plunder schleppen wir herum. Nur das Nötigste, Andrej! Zum Teufel, was haben Sie?«
Andreas war stehengeblieben und starrte auf eine Stelle hinter dem Wagen. Putkin, der mit beiden Händen den Schnee vom Karren schaufelte, wusch sich kurz mit der kalten Masse das Gesicht.
»Wieder ein Bärchen, he?«
»Waren Sie in der Nacht draußen, Igor Fillipowitsch?« fragte Andreas.
»Ich? Wie käme ich dazu? Ich habe geschlafen wie ein gestopfter Sack.«
»Dann hatten wir Besuch, Putkin!« Andreas' Stimme vibrierte vor Erregung. »Ein Mensch war hier! Begreifen Sie das? Ein Mensch! Ein fremder Mensch! Kommen Sie her … kommen Sie her! Hier sind Spuren im Schnee. Spuren von einem Stiefel … Ein Mensch, Putkin, ein Mensch! Wir sind gerettet …«
Er schrie plötzlich so laut, daß Putkin zusammenzuckte und die Rentierhaut fallen ließ, rannte zurück zum Lager und weckte die anderen mit seinem Geschrei. Sie stoben hoch aus ihren Decken und stierten ihn schlaftrunken an.
»Ein Mensch! Ein Mensch! Ein Mensch! Wir sind gerettet! Gerettet!«
Er fiel der Susskaja in die Arme, küßte ihr Gesicht ab und stieß sie ebenso wild wieder von sich und rief:
»Wo ist die Axt, Katjuschka? Ein Mensch! Die Axt her! Ich schlage den Wagen zusammen! Ich will ihn zertrümmern! Ich will dieses Biest von Wagen ermorden! Gib mir die Axt …«
Sie mußten ihn zu dritt festhalten. Wie Glocken hingen Katja, Nadeshna und Morotzkij an ihm, und er schüttelte sie und versuchte, sie mit sich fortzuschleifen. Vom Wagen kam Putkin zurück. Sein Gesicht mit dem wild wuchernden Bart war verzerrt vor Wut.
»Jawohl, ein Mensch!« dröhnte er und ballte die Fäuste. »Aber was für ein Mensch? Er war hier und hat uns einfach liegen lassen! Läßt uns im Schnee liegen und schleicht sich wieder davon! Ist das noch ein Mensch?«
»Wer's auch war … wir wissen jetzt: Wir sind nicht mehr allein in der Taiga«, sagte die Susskaja. »Igor Fillipowitsch, das ist, als wenn die Sonne auf ein vereistes Herz scheint –«
IV.
Aber die Sonne schien nicht mehr.
Es schneite unentwegt lautlos, mit dicken Flocken. Ein weißer dichter Vorhang fiel aus dem Himmel und umhüllte das ganze Land. Die Bäume wurden zu bizarren weißen Riesen, die drohend und doch von einer seltsamen Schönheit in die graue, auseinanderbrechende Unendlichkeit ragten. Kaum ein Windhauch unterbrach dieses alles zudeckende Schneien, und Putkin sagte mit bitterem Humor: »Welch ein Glück, daß uns kein Sturm gegen die Bäume bläst! Ein verrücktes Jahr, Freunde. Erst dieser heiße Sommer, daß die Erde aufreißt wie ein Bratapfel, dann plötzlich Winter ohne einen Strahl Regen, und jetzt gibt es noch nicht einmal Wind. Wer hat das schon erlebt? Früher, in normalen Jahren, mußte man sich hier draußen an die Stämme binden, so blies es aus allen Richtungen.«
Nach vier Stunden war der Wagen bis über die Räder eingeschneit. Es war auszurechnen, wann das ganze Gefährt nur noch ein großer, weißer Hügel sein würde. Morotzkij, der seine Gehirnerschütterung pflegte und sich von Nadeshna füttern ließ wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen, zeigte kauend auf das im Schneeschleier wie schwerelos wirkende Ungeheuer.
»Sagen Sie bloß noch, Igor Fillipowitsch, Sie wollten den Saukarren weiter durch den Wald ziehen. Ich mache nicht mehr mit. Ich bin Professor für
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