Die Verdammten der Taiga
wieder die armselige, aus einem Benzinfaß gehämmerte Glocke zu läuten. Scheppernd, blechern, mißtönend, aber wo steht geschrieben, daß man Gott nur mit schöner Stimme ansingen darf? Nadeshna schwenkte jetzt den ebenfalls aus Blech gefertigten Weihrauchkessel, und Kyrill sang dröhnend einen Psalm, während er gleichzeitig am Glockenseil zog.
Die Einsamkeit der Taiga wurde lebendig.
Ein Tag war wieder vorbei … und Sibirien hatte einen nicht besiegt.
»Wann können wir losziehen?« fragte Putkin. Die Unruhe in ihm war ungeheuer.
»Von mir aus morgen schon –«, sagte Andreas.
»Professor?«
»Jederzeit.«
»Katja Alexandrowna?«
»Sie haben Andrej doch schon gefragt.«
»Ach ja … ein gemeinsames Herz, ein gemeinsames Hirn …«
»Sie sagen es, Putkin.«
»Also morgen! Machen wir uns ans Packen.« Er blickte auf den seit Tagen immer stiller werdenden Benerian. Keiner konnte sich erklären, was in ihm vorging. Man wußte nur, daß er bei Kyrill zurückbleiben mußte. »Makar Lukanowitsch«, sagte Putkin stockend, »ich verspreche Ihnen, daß wir Sie hier wegholen, sobald wir wieder bei den Menschen sind.«
Und Benerian antwortete mit völlig klarer Stimme: »Reden Sie nicht so viel, Igor Fillipowitsch –«
Das war an diesem Abend die größte Sensation. Sie schlug ein wie eine Bombe.
IX.
General Serikow gab keine Ruhe, obgleich er ahnte, daß er sich bei seinen Untergebenen und noch mehr bei seinen Vorgesetzten im Stab lächerlich machte. Er befahl die große Flächensuche, das heißt, er ließ ganze Geschwader aufsteigen und Waldgebiete abfliegen, in denen nach den bisherigen Erfahrungen nie ein Mensch überleben konnte.
Wie skeptisch man ›Serikows Suchwahn‹ – so nannte man es bereits – betrachtete, bewies der heimliche Gegenbefehl der einzelnen Geschwaderkommandeure, die ihre Flugzeuge zwar aufsteigen, aber dann wieder landen ließen. Sechs Menschen bleiben in der Taiga … das ist eine echte Tragik. Aber was kosten die Tausende Liter von Flugbenzin, die man für diese Suche verbraucht, der Verschleiß an Material bei dieser mörderischen Kälte.
So wurde Serikow betrogen und belogen, wenn abends die Meldungen auf seinem Schreibtisch lagen, jede mit dem gleichen Wortlaut: Bei Einbruch der Dunkelheit Suche abgebrochen, kein Erfolg. Dann zerknüllte Serikow die Papiere, formte daraus kleine Kugeln und warf sie gegen das Foto von Jekaterina Alexandrowna Susskaja, das in einem Silberrahmen auf dem Tisch stand. Ihre großen braunen Augen sahen ihn fragend an.
Begreifst du nicht, Waska Janisowitsch? Ich bin weggegangen. Für immer. Einfach weggegangen wegen eines Deutschen. Unsere Liebe? Vergiß sie, Waska. Du hast es leichter als jeder andere Mann. Du hast eine schöne Uniform mit breiten Schulterstücken und Goldstickerei. In diese Uniform kannst du dich zurückziehen, und für alle Welt siehst du wie ein Held aus. Wer kann das schon?
Serikow wartete. Er hatte beim örtlichen KGB einen Bericht über den deutschen Bergbauingenieur Andreas Herr angefordert, aber die Kollegen vom Geheimdienst wußten nicht viel über ihn. Nun wartete er auf einen Bericht aus Moskau. Moskau mußte diesen Andreas Herr kennen. Man läßt keinen Fremden monatelang ins Land, ohne ihn vorher genau durchleuchtet zu haben. Vor allem ein Bild wollte Serikow haben, ein Foto, ein ganz deutliches. Er wollte sehen, wer ihm Katja Alexandrowna weggenommen hatte. Er wollte wissen, wie ein Mann aussieht, der einen sowjetischen General aus dem Herzen einer Frau wie der Susskaja vertreiben kann.
Oberleutnant Krendelew hatte zwar ein Foto besorgt, aber das war nur eine Gruppenaufnahme, ein Zufallsbild, fotografiert am Tage der Hospitalbesichtigung von einer jakutischen Schwester, die schnell um eine Säule herum die Gäste angeblitzt hatte. Auf diesem Bild sah Serikow nur einen blonden Kopf, verschwommen und halb verdeckt vom Direktor der Klinik. Über den blonden Kopf hatte Krendelew einen Pfeil gemalt, mit Rotstift. Da ist er!
Serikow hatte das Bild in der Faust zerknüllt wie die täglichen Meldungen, aber das Kügelchen nicht gegen Katjas Bild geschleudert, sondern in den Papierkorb. Nicht einmal diese Berührung gönnte er ihm. Aber wenn das Bild aus Moskau eintraf, würde sich das ändern. Serikow hatte sich vorgenommen, beide Fotos – das von Katja und das von Andreas – nebeneinander auf eine Schießscheibe draußen auf dem Armeeschießstand zu kleben und dann beide mit Schüssen aus dem Präzisionsgewehr der
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