Die Verdammten der Taiga
sibirischen Scharfschützen zu durchlöchern.
Eine billige Rache, gewiß, aber Serikow glaubte, danach ruhiger zu werden.
»Es steht jetzt fest, daß die fehlenden Flugzeugräder von nomadisierenden Jakuten mitgenommen wurden«, meldete Krendelew eines Tages. Serikow blickte kaum hoch.
»Hat man sie gefunden?«
»Nein. Aber es gibt keine andere logische Erklärung.«
»Logik!« Serikow winkte ab. »Vermeiden Sie in Zukunft dieses Wort in meiner Nähe! Das Leben eines Menschen ist ein Sack voll Unklarheiten …«
In Irkutsk machte dieser Satz schnell die Runde, und man begann, Serikow zu bedauern. Man wußte keine Erklärung, aber es war offensichtlich, daß der General gemütskrank wurde.
Und auch das meldete man nach Moskau …
X.
Es war fast wie bei ihrer Ankunft: Kyrill Jegorowitsch läutete zum Abschied die Glocke.
Benerian saß vor dem Haus auf einer freigefegten Bank, dick in einen Wolfspelzmantel vermummt, und winkte mit beiden Händen zum Abschied. Er begriff nicht, daß man ihn hier zurückließ, vielleicht für den Rest seines Lebens. Seine geistige Verwirrung hatte sich in den vergangenen Tagen wieder etwas abgebaut, er stand jetzt nicht mehr auf der Stufe eines Säuglings, sondern war bis zum Kleinkind hinaufgeklettert. Deshalb war er auch freundlich gegen jeden, hörte aufmerksam zu, was man ihm sagte, aber ob er es begriff, war nicht festzustellen.
Nur manchmal brach der alte Benerian durch, ganz kurz, für Sekunden, wie das Aufblitzen einer Detonation. Dann starrte er um sich, packte einmal sogar die Susskaja mit hartem Griff an den Arm und sagte: »Wer kann mir sagen, wo ich hier bin? Ich bin Hauptmann der Luftflotte, Makar Lukanowitsch Benerian. Wer sind Sie?«
Aber bevor man ihm eine Antwort geben konnte, sank das Feuer des klaren Denkens wieder in sich zusammen, und Benerian fuhr fort, dümmlich vor sich hin zu grinsen.
Am Waldrand, dort, wo der Fluß sich in den ansteigenden Hang gesägt hatte, blieben Putkin, Andreas, Katja, Nadeshna und Morotzkij noch einmal stehen und blickten zurück auf die kleine Blockkirche, die Hütte, den Stall, den eingezäunten Garten und die aufgespannten Felle. Das Glöckchen aus Benzinfaßblech schepperte wie verrückt … es war nicht zu überhören, daß Kyrill sein ganzes Herz an das Glockenseil hängte. Einen Abschied hatte es nicht gegeben, nicht die üblichen Bruderküsse, die Umarmungen, die Glückwünsche und was man so alles unternimmt, wenn Menschen sich in Frieden trennen. Kyrill war in die Kirche gelaufen und hatte sich dort verbarrikadiert. Er hatte Angst vor diesem Abschied, aber was er selbst nicht aussprechen wollte, sagte er jetzt mit seiner Glocke.
»Eine Erlösung –«, sagte Putkin heiser. »Ich werde das schreckliche Ding nicht mehr hören. Jeden Tag viermal das Gebimmel … das zersägt den dicksten Nerv.«
Aber auch er blieb stehen und blickte zurück, auf die Skistöcke gestützt, den größten und schwersten Sack mit den Werkzeugen auf dem Rücken, die geflochtenen tungusischen Schneeschuhe an einem Strick um den Hals wie zwei riesige Amulette. Andreas und Katja trugen die Verpflegung, Nadeshna den ›Hausrat‹, zwei Töpfe, eine Pfanne, den Arztkoffer der Susskaja, die von Kyrill geschnitzten Holzbestecke und den Spieß zum Braten über dem offenen Feuer. Morotzkij hatte sich die ›Schlafzimmer‹ aufgeladen: Fünf Decken und für jeden ein Paar dicke Fellstiefel aus Bärenpelz. Kyrill hatte sie mitten in das Zimmer gestellt, als Abschiedsgeschenk, ehe er in seine Kirche flüchtete. Die Zeltplanen waren gleichmäßig auf alle verteilt. Man hatte eine Stunde darüber diskutiert, ob man nicht doch den Schlitten mitschleppen sollte, aber da der Weg am Flußufer entlang bergauf führte, ahnte man, daß es eine mörderische Quälerei werden würde, den Schlitten über alle Steigungen hinaufzudrücken oder hinter sich herzuziehen.
»Was ich brauche, packe ich mir auf«, sagte Putkin endlich. »Und auch Sie, Andrej, können noch etwas aufladen. Verhungern werden wir nicht. Der Wald lebt, uns rennen die Tiere fast in den Mund – und verdursten, das wäre absurd bei einer Welt voll gefrorenen Wassers. Aber Werkzeuge, Andrej, die regnet es nicht vom Himmel, und die kann man nicht schießen oder in Fallen fangen. Wir werden vielleicht einmal für jeden Nagel dankbar sein.«
Man packte also noch schnell um, nahm alles mit, was zur Arbeit brauchbar war, und Putkin klaute dem alten Kyrill eine der Äxte, die man in dem Schuppen
Weitere Kostenlose Bücher