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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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tief in den Wolfspelz gedrückt. »Die Beine sind das wichtigste«, sagte er und schlug vor, daß sich alle mit den Füßen zum Feuer schlafen legten. »Da darf nichts erfrieren. Leute, wir brauchen kein Hirn. Wir leben jetzt nur noch mit den Beinen. Denkt daran!«
    In einer dieser Nächte wachte Andreas auf, weil er Katja nicht mehr neben sich spürte. Er hatte sich so an ihre Wärme und ihre glatte Haut gewöhnt, daß ihn jede Veränderung sofort weckte.
    Katja Alexandrowna saß nahe an dem glimmenden Feuer, Kyrills Fellschuhe an den Füßen, eingewickelt in den langen Mantel aus Fuchspelz. Sie blickte in den gerippeähnlichen Wald und zuckte zusammen, als Andreas sie ansprach.
    »Warum schläfst du nicht, Katjuschka?« fragte er.
    Sie zog den Pelz dichter über den Kopf und lächelte ihn an. Es war ein wehmütiges Lächeln, so ganz anders als die blutvolle Kraft, die sonst am Tag von der Susskaja ausstrahlte.
    »Du bist auch wach, Andruscha …«
    »Weil du nicht mehr neben mir liegst. Die Einsamkeit ist furchtbar, wenn du nicht da bist.«
    »Sie werden mich einsperren, wenn wir aus der Taiga herauskommen …«
    »Wer wird dich einsperren?«
    »Sie werden mich in ein Straflager verbannen. Nach Magadan oder Workuta – das wäre noch eine Auszeichnung. Das sind große, gut geführte Lager. Aber es gibt andere Straflager. Einsame vergessene Flecken auf der Karte Rußlands. Punkte, über die man sich schämt, als habe jemand Pflaumenkerne über eine weiße Weste gespuckt. Deshalb spricht man darüber nicht, es gibt sie nicht, diese Flecken, die aus Menschen ohne Hoffnung, ohne Zukunft, ohne Gnade bestehen. Dahin wird man mich bringen.«
    »Warum denn?« Andreas schälte sich aus seinen Decken.
    »Weil ich dich liebe, Andrej –« Sie drückte Andreas an sich, als er zu ihr hinkroch, öffnete ihren Pelz und schlang ihn dann wieder um ihn. Sein Kopf lag auf ihren Brüsten, und sie sprach über ihn hinweg, als erzähle sie für ein Kind ein Märchen.
    Es war ein schreckliches Märchen.
    »Wenn ich Glück habe, findet sich ein Psychiater, der mich für verrückt erklärt«, sagte sie. »Stell dir das vor, Andrej: Die Chirurgin Susskaja läuft aus ihrem Hospital davon, verrät damit ihr Vaterland, sabotiert die ärztliche Versorgung der Werktätigen, rennt einfach hinein ins Blaue, und das auch noch mit einem Deutschen, mit einem Kapitalisten, mit einem Parasiten aus einer verabscheuungswürdigen Gesellschaftsform! Es kann nicht anders sein … Jekaterina Alexandrowna muß den Verstand verloren haben!«
    »Und es ist keiner da, der sagt: Genossen, versteht ihr nichts von Liebe?«
    »Nein! Niemand! Nicht bei mir …«
    Sie dachte an Waska Janisowitsch Serikow, der jetzt in Irkutsk in seinem einfachen Holzbett lag, eine Zigarette rauchte, vielleicht zweihundert Gramm Wodka trank und nicht verstehen konnte, daß eine Frau wie Katja Alexandrowna sich selbst in die Luft sprengte.
    »Dann muß man es ihnen zuschreien, Katjuschka!«
    »Wer will das tun? Du? Mein tapferer Liebling … sie setzen dich in das nächste Flugzeug und fliegen dich über die Grenze, und wenn du dich wehrst, werfen sie dich über den Zaun wie einen faulen Apfel.« Sie begann, seinen Kopf zu streicheln, nicht zärtlich wie bisher, sondern hart, mit zitternden Fingern, plötzlich von der Angst vor der Zukunft überwältigt. »Daran denke ich, Andrej. Je weiter wir aus dem Wald herauskommen, um so näher sind wir dem Ende.«
    »Man wird uns nie auseinanderreißen können, Katja.«
    »Sie werden es können, Andrej.«
    »Dann werde ich die Weltöffentlichkeit alarmieren. Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen …«
    »Und was werden wir dann sein? Eine Tagessensation … und morgen schon vergessen. Soll sich die Welt aufregen wegen zweier Menschen? Bekommen Ideologien einen Riß, weil sich ein Mann und eine Frau lieben? Andrej, wir sind ein lächerliches Nichts. Zwei Krümel, die man vom Tisch fegt, damit er wieder für das große Staatsessen sauber ist.«
    »Und daran hast du nicht gedacht, als du meinetwegen Suchana verlassen hast?«
    »Nein. Ich habe nur an dich gedacht. Ich habe nur dich gesehen. Ich habe mit klarem Sinn die Verrücktheit der Liebe in mir entdeckt. Bis zu diesem Tage wußte ich nicht, was es heißt, eine Frau zu sein. Ich war Ärztin, ich schnitt Leiber auf und nähte sie wieder zusammen, ich hielt Reden, stimmte in verschiedenen Komitees ab, wurde Mitglied der Partei, erhielt zwei Auszeichnungen, erfüllte meine biologischen Pflichten in einigen

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