Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Betten. Aber dann sah ich dich, und ich wußte plötzlich, daß alles Leben bisher nur ein Schattentheater meiner wirklichen Persönlichkeit gewesen war. Und dann bin ich dir nachgelaufen … ohne zu denken …« Sie umklammerte seinen Kopf und atmete tief auf. »Mein Gott, warum reden wir soviel darüber? Andruscha, wir müssen von einem Tag zum anderen Tag leben, und wir müssen uns sagen: Jeder Tag ist ein neues Leben. Immer wieder ein neues Leben, immer wieder eine neue Liebe. Nur so halten wir es aus, Andrej, nur so –«
    Später lagen sie eng umschlungen neben dem Feuer, ihre Herzen hämmerten gegeneinander, und jeder dachte diesen fürchterlichen Satz, aber keiner wagte es, ihn auch auszusprechen: Gott im Himmel, laß die Taiga so unendlich sein wie unsere Liebe. Laß uns nicht wieder hinaus –
    Neben ihnen röhrte Putkin im Schlaf, Morotzkij pfiff beim Atmen wie eine angstvolle Haselmaus, und Nadeshna Iwanowna seufzte im Traum, weil sie ihre Beine um die knochigen Hüften von Semjon Pawlowitsch geschlungen hatte.
    In dieser Nacht fiel das Thermometer auf 37 Grad Frost …

XI.
    Am sechzehnten Tag wurde Semjon Pawlowitsch Morotzkij wahnsinnig.
    Das kam nicht plötzlich. Seit zwei Tagen kündigte sich die Katastrophe an, ohne daß jemand etwas dagegen tun konnte. Selbst die Susskaja war machtlos mit dem armseligen Inhalt ihrer Arzttasche, denn was nützt ein gut gepflegtes chirurgisches Besteck, wenn jemand den Verstand verliert? Man kann ihm doch nicht einfach den Kopf abschneiden!
    Morotzkij veränderte sich erschreckend, als das bisher glatte Land mit dem Wald schroffer wurde, als man Höhen erklettern und Senken durchqueren mußte und der verdammte Fluß sich durch eine wahre Wildnis hindurchfraß, in der es sogar nackte, glatte Felsen gab, mächtige Steinbrocken mitten im Fluß, die das Wasser teilten, und Ufer voll Geröll und zernagten Hängen. Für Morotzkij bedeutete das, daß er um jeden Schritt kämpfen mußte, daß Meter um Meter das Gepäck auf seinem Rücken, diese fünf Decken und eine Zeltplane samt Schnüren und Stöcken, zu einem Berg anwuchs, den er wegschleppen sollte … irgendwohin, in diese weiße Unendlichkeit hinein, in der es keinen Anfang und kein Ende gab. Sein Atem war wie eine Sirene. Eigentlich bestand dieser Mensch nur noch aus seinem pfeifenden Atem, der aus einem Mund entwich, der weit aufgerissen war und diesen totenkopfähnlichen Schädel völlig beherrschte.
    Fünfmal setzte Katja Alexandrowna durch, daß man eine Sonderrast einlegte, und jedesmal behandelte sie Morotzkij mit einer lächerlichen Multivitamintablette, von denen sie eine Schachtel in der Arzttasche hatte.
    Morotzkij schluckte sie geduldig, sagte höflich: »Meinen Dank, Katja Alexandrowna, meinen Dank …«, ließ seinen Atem weiterpfeifen und fauchte seine geliebte Nadeshna an, weil sie zu weinen begann und unbedingt ein Feuer entfachen und etwas von Kyrill Jegorowitschs Kronsbeerentee kochen wollte.
    So begann es also: Morotzkij schrie Nadeshna an, raffte sich dann wieder auf und schwankte den anderen nach, trat am fünfzehnten Tag gegen die Felsen, die am Flußufer den Weg erschwerten, boxte gegen herunterhängende Äste und heulte einmal, völlig ohne Grund, schaurig auf.
    Jetzt, am sechzehnten Tag, zerbrach etwas in ihm.
    Er schleuderte seinen Gepäcksack vom Rücken, riß sich die Fellmütze vom Kopf, warf den Wolfspelzmantel ab, entledigte sich mit zwei Tritten seiner Skier und rannte mit ausgebreiteten Armen auf das Eis des Flusses.
    »Schluß! Schluß! Schluß!« schrie er dabei. »Macht doch ein Ende mit mir!«
    Putkin und Andreas, die wieder vorausgelaufen waren, fuhren herum. Die Susskaja lag im Schnee, weil Morotzkij sie zur Seite gestoßen hatte, und Nadeshna Iwanownas Stimme überschlug sich, als sie rief: »Semjuscha! Bleib! Bleib!«
    »Zurück!« brüllte auch Putkin. »Teufel auch, kann man sich nicht einfacher umbringen?!«
    Morotzkij erreichte den schmalen freien Wasserstreifen nicht. Er glitt auf dem Eis aus, rutschte ein Stück mit herumfuchtelnden Armen und Beinen, sah aus wie ein großer, dürrer Käfer, der nicht mehr auf die Beine kommt und nun auf seinem Rücken verenden muß … dann erst hörte man den markerschütternden Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.
    »Jetzt hat er sich die Knochen gebrochen –«, sagte Putkin heiser und lehnte sich wie erschöpft gegen Andreas. »O Himmel, er hat sich die Knochen gebrochen –«
    Morotzkij lag auf dem Eis in einer

Weitere Kostenlose Bücher