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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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seltsam verkrümmten Haltung, wie eine aus den Gelenken gedrehte, abgenutzte, farblos gewordene Kinderpuppe. Nach seinem tierischen Aufschrei war er jetzt völlig still und stierte blicklos in den Schneehimmel, diesen grenzenlosen Himmel, der aus einer Milchglasscheibe zu bestehen schien, hinter der die Sonne glänzte. Er rührte sich auch nicht, als Putkin ihn als erster erreichte und neben ihm seinen schweren Sack mit den Materialien und dem Werkzeug abwarf.
    »Sie Vollidiot«, schrie Putkin. »Will sich das Leben nehmen, das Professorchen! Wie denn, frage ich, wie denn? In den Fluß fallen? Der ist zugefroren, daß man ihn nur noch mit Bomben aufkriegt! Erfrieren? Welche Fantasielosigkeit! Jeder Strick ist besser als sich vereisen zu lassen!«
    Nun waren auch Andreas und die Susskaja heran, während Nadeshna oben an der Uferböschung kniete, laut weinend und zusammengebrochen vor Entsetzen und totaler Erschöpfung.
    »Ich wage nicht, ihn anzurühren –«, sagte Putkin unsicher, als die Susskaja sich über Morotzkij beugte. »Katja Alexandrowna, wie er daliegt – kann man sich wirklich alle Knochen auf einmal brechen?«
    »Er hat sich zweimal überschlagen.« Andreas packte Morotzkij an der Schulter und wollte ihn auf den Rücken drehen. Ein tiefes Stöhnen war die Reaktion. Die Susskaja tastete vorsichtig die Beine ab und drückte und zog mal dort, mal da, und immer brach aus Morotzkijs Brust nichts anderes als dieses dumpfe, gurgelnde Stöhnen. Auch sein Blick veränderte sich nicht … es waren Augen wie aus Glas, von keinem Gefühl durchleuchtet.
    »Beide Beine –«, sagte Jekaterina Alexandrowna und richtete sich auf. »Beide Beine …«
    »Gebrochen?« Putkin wischte die Eiskristalle aus seinem Bart, die sich beim Atmen gebildet hatten.
    »Ja. Mehrmals. Er muß Knochen haben, so morsch wie ein ausgetrockneter Baum. Es ist ein Wunder, wie dieses Gerüst den dreißig Pfund schweren Sack getragen hat.« Sie blickte Putkin fordernd an. »Soll er hier liegenbleiben?«
    »Was sonst?« knurrte Putkin.
    »Igor Fillipowitsch, wir hätten Sie auch erfrieren lassen können, als Sie Kyrill Jegorowitsch aus dem Wasser holten.«
    »Das war etwas anderes. Da hatten wir ein Haus, einen herrlichen warmen Ofen, und ich bin nicht aus Idiotie in den Fluß gesprungen.« Putkin bemühte sich, Morotzkij nicht anzusehen. Oben an der Böschung sammelte Nadeshna jetzt Morotzkijs weggeworfene Kleidung ein und rutschte den Abhang hinunter auf das Eis. »Wie stellen Sie sich das vor, Katja? Benerian war schon eine Last, aber er konnte, wenn es darauf ankam, wenigstens laufen. Sollen wir Semjon Pawlowitsch tausend Werst auf dem Rücken mitschleppen?«
    »Wollen Sie ihn auf dem Fluß verrecken lassen?« schrie die Susskaja zurück. Ihr schönes, vom Geheimnis Asiens und Europas klarer Nüchternheit geprägtes Gesicht wurde rot vor Zorn. Nadeshna warf sich neben Morotzkij auf das Eis, umklammerte ihn, zog seinen Kopf an ihre Brust und streichelte ihn. »Mein Liebling«, wimmerte sie dabei. »Mein armer Liebling. Hörst du mich? Ich bin bei dir. Naduschka ist da. Mein Liebling …«
    »Sie würden zwei Menschen töten, Putkin«, sagte Andreas hart.
    »Das ist eine gute Rechnung. Wir drei schaffen es, aus der Taiga herauszukommen.«
    »Und ausgerechnet Sie halten Vorträge über Kommunismus! Über Kameradschaft. Über Brüderlichkeit!« Die Susskaja riß Nadeshna die Fellkleidung Morotzkijs aus den Händen, schob sie zwischen den verkrümmten Körper und das Eis und deckte den Rest über den fast nackten Leib. »Sie elender Schwätzer!« sagte sie dabei. »Sie widerliches Großmaul! Sie Phrasenposaune! Los, ziehen Sie weiter! Nehmen Sie Ihr Bündel und dann ab! Der Teufel, den Sie als einzigen anerkennen neben Marx und Lenin, soll Sie dahin führen, wohin Sie gehören! Fort mit Ihnen, Putkin!«
    »Allein?« fragte Putkin und knirschte mit den Zähnen. Sein breites, wildes Gesicht unter dem Bartgestrüpp verzerrte sich häßlich.
    »Natürlich allein! Wir bleiben bei Semjon Pawlowitsch.«
    »Hier? Auf dem Fluß? So kalt ist es doch noch nicht, daß alle Gehirne einfrieren?« brüllte Putkin.
    »Wir werden Morotzkij ans Ufer tragen, unser Zelt aufbauen und abwarten. Komm, Andrej … faß ihn vorsichtig unter den Schultern. Ich hebe ihn an den Beinen.« Die Susskaja stieß mit dem Ellenbogen Putkin zur Seite. Es war ein heftiger Stoß genau in die Magengrube, und Putkin grunzte laut wie ein hungriger Bär. »Zur Seite, sag ich! Nadeshna, leg

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