Die Verdammten: Endzeit-Thriller (German Edition)
…«
»Okay, ich hab’s ja verstanden, meine Güte. Du musst nicht gleich so übertreiben.«
Seine Mutter neigte dazu, ihre Argumente mit dem Holzhammer zu bearbeiten, bis sie genauso tot waren wie die Leichen, die im Flur hingen.
»Du musst erwachsen werden und dich verhalten wie ein …«
Seine Mutter brachte ihren Satz nicht zu Ende. Stattdessen schniefte sie und wischte sich über die Augen.
Ben starrte sie an. Abgesehen davon, dass sie eine der jüngsten Löwinnen war, galt sie auch als eine der besten Jägerinnen. Stark, schnell, leise. Ben empfand einen Stolz, dass Sarah Lattimer seine Mutter war.
Aber nicht jetzt. Jetzt zeigte sie Schwäche. Ben hatte seine Mutter seit Jahren nicht mehr weinen sehen. Nicht, seit sein Vater vor drei Jahren bei einem der Waldbrände umgekommen war.
»Aber ich bin noch nicht erwachsen«, verteidigte sich Ben. »Ich bin erst 13!«
»Aber du wirst langsam erwachsen«, schluchzte seine Mutter. Ihr Blick fiel auf seinen Schritt – er stand nackt vor ihr. »Schau, dir wachsen da unten sogar schon Haare.«
Ben sah auf sein Glied und die weichen hellbraunen Haarbüschel, die über seinem Schwanz zu sprießen begonnen hatten.
Er ließ den Kopf hängen.
Er hatte die Haare schon vor Wochen bemerkt. Er wusste, was Haare an dieser Stelle bedeuteten, und er wollte sie nicht. Er hatte in der letzten Woche verzweifelt versucht, sie komplett abzurasieren – aber sie wuchsen immer wieder nach.
»Ich muss zurück zu den Babylöwen«, sagte seine Mutter und räusperte sich. »Komm zu mir, wenn du mit Daniel gesprochen hast, okay?«
Ben antwortete nicht. Er konnte nicht antworten.
»Okay?«
Er zuckte mit den Schultern.
Seine Mum entfernte sich und er war wieder allein.
»Der blöde Daniel mit seinen blöden Regeln«, fluchte Ben, obwohl er wusste, dass Daniel daran keine Schuld trug. Es war nur eine von vielen Regeln, die in jedem Rudel und jedem Verbund des Dschungels galten.
Trotz seines Widerwillens, Daniel gegenüberzutreten, hatte seine Mutter recht: Er sollte ihren Anführer nicht warten lassen. Wer einen Alphalöwen warten ließ, wurde mit Gefängnis bestraft, einige Zeit später wieder freigelassen und von den ganz jungen Löwen gejagt, damit sie die Kunst des Anschleichens und Angreifens lernten.
Ben drehte sich zu seiner Sammlung mit Tierfellen um, die an mehreren Haken an der Wand hingen, die früher für Schultaschen gedacht gewesen waren. Er griff nach dem Dingo-Fell. Es war nicht nur das sauberste, sondern auch das formschönste und hatte einen wunderschönen, leuchtend orangefarbenen Pelz. Im Gegensatz zu seinen anderen wies es weder Risse auf noch fehlte ihm ein Fuß oder der Schwanz. Seinen anderen Fellen fehlten ein, manchmal auch zwei Pfoten, bei anderen der Schwanz. Beim Häuten des Dingos hatte er sich jedoch besondere Mühe gegeben.
Er schlang das Fell über seinen straffen, mit Narben übersäten nackten Körper und ging zur Tür.
Mein Gürtel!
Er blieb stehen, drehte sich noch einmal um und schnappte sich den Gürtel vom Haken.
Ben trug seinen Waffengürtel nur, wenn er jagen ging, aber er wollte Daniel beeindrucken. Er wusste außerdem, dass der Alphalöwe es nicht gerne sah, wenn Ben ohne seine Waffensammlung auftauchte. Daniel gefiel es, wenn er mitbekam, dass seine älteren Junglöwen allzeit kampfbereit waren, selbst in der sicheren Umgebung ihres eigenen Reviers.
Er legte den Gürtel an, an dem mehrere hölzerne Dolche, ein Messer mit Steinklinge und seine wichtigste Waffe, eine Klaue, hingen, die er einem toten Bären abgenommen hatte, und verließ seine kleine Höhle.
Draußen war es bitterkalt und eine kühle Brise wehte von Norden heran. Ben schlang das Fell fester um seinen Körper und lief zu dem mächtigen, dreistöckigen Ziegelgebäude hinüber.
Die Betonrampe, einst parallel zum Schulgebäude angelegt, war in der Mitte zerbrochen: Die untere Hälfte war noch intakt, aber der zweite Teil der Rampe, der früher in das Gebäude führte, hatte sich dank der Baumfarne in einen Haufen Schutt verwandelt. Sie hatten jedoch eine neue Rampe gebaut – eine kürzere, steilere Rampe, die direkt ins Gebäude hinaufführte und den rauen, kratzigen Stamm des Farns umging.
Ben griff nach dem Seil, das an der Seite der neuen Rampe baumelte – in Wahrheit nichts anderes als eine abgebrochene Asphaltplatte –, und kletterte hinauf. Als er das obere Ende erreichte, ließ er das Seil los und betrat das alte Ziegelgebäude.
Die dichte Atmosphäre
Weitere Kostenlose Bücher