Die Verdammten: Endzeit-Thriller (German Edition)
vor. Sie war hungrig, sicher, und ihre Muskeln schmerzten ständig, aber es war nicht nur das. Niemals schlief sie friedlich – sie hatte Glück, wenn sie nachts mehr als vier Stunden am Stück die Augen schließen konnte – und hin und wieder bekam sie Krämpfe oder ihr brach kalter Schweiß aus.
Sie hatte immer geglaubt, gesunde Ernährung und frische Luft seien gut für das Wohlbefinden, aber auf Maddy schienen sie die umgekehrte Wirkung zu haben, genau wie auf die meisten anderen Menschen, die sie getroffen hatte. Vielleicht reagierten sie ja alle allergisch auf diese neue Welt? Oder ihre Körper durchlebten einen Entgiftungsprozess, nur, dass es sich bei der Droge ihrer Wahl nicht um Heroin handelte, sondern um einen Cocktail aus industriellen Lebensmitteln, langen Nächten im Internet und toxischer Umweltverschmutzung. Konnte es nicht sein, dass sich ihre Körper in einem Schockzustand befanden? Durchlitten sie womöglich dieselben Entzugserscheinungen wie ein Junkie, seit ihre Umwelt sich auf so drastische Weise verändert hatte?
Maddy versuchte, optimistisch zu bleiben. Sie vertrat die Auffassung, eine positive Einstellung sei ein ebenso gutes Stärkungsmittel wie Kräutertee oder frisch gebratene Forelle. Aber auch sie hatte Momente, in denen sie sich am liebsten zu einer Kugel zusammengerollt und geheult hätte.
»Das ist das Gemeinschaftsfeuer. Hier treffen wir uns abends alle, um zu reden, uns Geschichten zu erzählen oder einfach nur, um uns aufzuwärmen. Das Feuer hält außerdem die Tiere ab, auch die Insekten.«
Das große Lagerfeuer, das dort brannte, wo sich einst die Schnellkasse für acht Artikel oder weniger befunden hatte, wurde von Sonnenuntergang bis zum späten Vormittag am Leben gehalten, so lange, bis alle gefrühstückt hatten. Dann wurde es sich selbst überlassen und brannte herunter, bevor es später mit der noch heißen Glut wieder entfacht wurde.
»So, das war’s. Jetzt kennst du im Wesentlichen die ganze Anlage. Sie ist nur eine von vielen Krankenhäusern und Asylen. Unsere ist eine der größeren, aber sie alle folgen denselben Grundsätzen. Na ja, zumindest hat man mir das erzählt. Jeder ist willkommen, hierzubleiben, aber dafür muss er all seinen Besitz aufgeben und ihn dem gemeinschaftlichen Trödelladen oder der Cafeteria überlassen. Und man muss mit anpacken, um das Ganze am Laufen zu halten. Solange man sich an die Regeln hält, ist das ein Ort, an dem man relativ sicher ist, etwas zu essen und Wasser hat und andere nette Leute trifft, mit denen man seine Zeit verbringen kann. Es ist ein gutes System, aber aus irgendeinem Grund mögen es manche Leute nicht und gehen lieber wieder.«
Maddy musste an Mark und seine Gang denken, an die in ihrem Käfig eingesperrten Frauen und an die Leichen, die an den Reklameschildern des Fast-Food-Ladens aufgehängt wurden.
Sie erschauderte.
»Siehst du die Kiste da drüben?« Maddy zeigte auf eine große Plastikbox, in der man früher einmal Milchtüten aufbewahrt hatte.
Grace folgte ihrem Finger.
»Darin bewahren wir all unsere Bücher auf. Wir müssen inzwischen an die 30 Bücher haben, eine Mischung aus Kinderbüchern und Büchern für Erwachsene. Jeden Abend liest jemand daraus vor, normalerweise Fran. Im Moment lesen wir Eine Geschichte aus zwei Städten . Ich weiß, das ist kein Kinderbuch, aber es scheint allen zu gefallen. Ich finde es einfach schön, dass wir noch etwas aus der alten Welt besitzen. Ein Andenken daran, wie unser Leben früher gewesen ist.«
Grace drückte Maddys Hand.
Ganz in der Nähe hörten sie jemand schreien: »Sie ist ohnmächtig geworden!«
Maddy schnappte nach Luft, und ihr erster Gedanke war: Lucy!
Sie hielt Grace noch immer an der Hand, sagte »Komm« und zog das Mädchen hinter sich her. Gemeinsam liefen sie durch den Dschungel in die Richtung, aus der die Rufe kamen.
Als sie die Stelle erreichten, sah Maddy eine Gruppe von Kindern im Kreis stehen. Sie starrten alle auf den Boden.
Maddy ließ die Hand von Grace los. »Geht zur Seite, Kinder«, sagte sie, aber sie wartete nicht, bis sie ihr Platz machten, sondern bahnte sich selbst einen Weg, indem sie die Kleinen beiseiteschob.
Sollte sie sich wünschen, dass es sich bei dem ohnmächtigen Mädchen um Lucy handelte? Sie wusste es nicht genau. Auf der einen Seite hätte das bedeutet, dass sie wusste, wo sich ihre kleine Schwester befand. Andererseits: Ohnmächtig zu werden, war alles andere als ein gutes Zeichen, und Maddy wollte nicht,
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