Die Verfluchten
wo ein wahres Durcheinander
von Geräuschen davon kündete, dass immer mehr von Faruks Kriegern zusammenliefen. Auch in der Dunkelheit hinter ihnen glaubte
Andrej bereits schwere Schritte zu hören. »Aber ich würde ganz
ernsthaft vorschlagen, dass wir später darüber reden.«
»Und hast du auch eine Idee, wie wir hier herauskommen sollen?«,
fragte Abu Dun. »In ein paar Augenblicken ist wahrscheinlich jeder
Mann auf den Beinen, über den Faruk gebietet. Dieser ganze Palast ist nichts anderes als eine einzige gewaltige Falle!«
»Ich weiß.« Meruhe sah Andrej vorwurfsvoll an. »Deshalb wollte
ich ja nicht, dass ihr mir folgt.« Plötzlich lächelte sie wieder. »Aber
macht euch keine Sorgen. Ich weiß, wie wir hier herauskommen.«
»Und wie?«, fragte Abu Dun.
»Wir gehen durch die Schatten«, antwortete Meruhe. »Kommt. Ich
zeige es euch.«
Der Himmel über der Stadt war noch immer so schwarz wie Abu
Duns Mantel, nur, dass er nicht annähernd so viele Löcher aufwies;
auch wenn Andrej die zahllosen Sterne wie winzige Nadelstiche in
einem schwarzen Tuch vorkamen, hinter dem ein helles Licht brannte. Dennoch konnte es nun nicht mehr lange dauern, bis die Sonne
aufging.
Von Meruhe war noch immer keine Spur zu sehen.
»Du wirst dir noch die Augen verderben, Hexenmeister«, sagte Abu
Dun hinter ihm. »Oder uns verraten, wenn eine der Patrouillen die
Löcher bemerkt, die du in die Luft starrst, und dann Alarm schlägt.«
Andrej drehte sich langsam zu ihm um und funkelte ihn an, sparte
sich aber jeden Kommentar. Abu Dun hatte ja Recht.
Meruhe war vor einer guten Stunde verschwunden, ohne zu sagen
wohin, zu welchem Zweck oder wann sie zurückkommen würde, und
hatte ihnen nur eingeschärft, auf sie zu warten und sich nicht von der
Stelle zu rühren, ganz gleich, was geschehen würde.
Zumindest Andrej hatte diese Aufforderung befolgt. Seit Meruhe
weggegangen war, stand er nahezu reglos am Fenster des verlassenen
Hauses, in dem sie Unterschlupf gesucht hatten, und starrte in die
Nacht hinaus. Die Stadt ringsum schlief noch, aber in dem einen oder
anderen Haus regte sich schon wieder das erste Leben, und hinter
mehr als einem Fenster glomm bereits trübes Licht.
Ihnen blieb nicht mehr allzu viel Zeit.
»Wie lange wollen wir noch hier herumsitzen und warten?«, fragte
Abu Dun. »Bis es hell wird und die ganze Stadt anfängt, Jagd auf uns
zu machen - falls das nicht schon längst der Fall ist?« Er sah Andrej
herausfordernd an, schien aber nicht mit einer Antwort zu rechnen,
denn er fuhr sofort in spöttischem Ton fort: »Halt - ich habe ja vergessen, dass uns gar nichts passieren kann. Wenn es gefährlich wird,
dann sagt deine neue Freundin wahrscheinlich einen Zauberspruch
auf, und wir fliegen auf einem Teppich davon.«
Andrej antwortete auch darauf nicht, aber er konnte sich eines eisigen Fröstelns nicht erwehren. Er nahm Abu Dun diese Bemerkung
nicht übel, denn er wusste, dass Abu Duns bissiger Spott im Grunde
nichts anderes war als seine Art, mit dem tiefen Schrecken fertig zu
werden, mit dem ihn das Vergangene erfüllte.
Sie waren durch die Schatten gegangen…
Der bloße Gedanke reichte schon aus, um Andrej erneut einen kalten Schauer über den Rücken laufen zu lassen.
Was immer es auch gewesen war, was Meruhe getan hatte, es gehörte ohne jeden Zweifel zu den unheimlichsten Dingen, die Andrej
jemals erlebt hatte. Dabei spürte er, dass es ganz und gar nichts Übernatürliches oder gar Magisches gewesen war. Sie waren tatsächlich auf eine gewisse Art durch die Schatten gegangen. Was Meruhe
letzten Endes getan hatte, das war nichts anderes gewesen als etwas,
worin auch Abu Dun und er wahre Meister waren (oder von dem sie
bisher zumindest geglaubt hatten, sie wären es): Sie hatte jede Deckung, jedes Versteck und jeden Schatten, den sie fanden, ausgenutzt, um sich ungesehen darin zu bewegen, das aber mit einer Meisterschaft, die Andrej erschüttert hatte. Es war ganz zweifellos nicht
das, was man landläufig unter Schwarzer Kunst verstand, sondern
eine bestimmte Art, mit der Dunkelheit und den Schatten zu verschmelzen, sich so zu halten, dass das Licht in einem ganz bestimmten Winkel auf einen fiel, und sich so zu bewegen, dass diese Bewegung zu einem Teil der Umgebung wurde. Dennoch war es keine
Magie, sondern Körperbeherrschung, die in ihrer Wirkung echter
Magie gleichkam und vielleicht gerade dadurch noch erschreckender
wirkte.
»Wir warten noch«, sagte Andrej mit einiger
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