Die Verfluchten
dem Schluss
gekommen war, dass Meruhe den Bogen nun eindeutig überspannt
hatte, hörte er Schritte, eine befehlende Stimme, die irgendetwas
schrie, und einige der Männer liefen hastig zu der kleinen Tür hin,
hinter der die Treppe, die zum Sklavenquartier führte, lag.
»Sollten wir ihnen das mit der Tür sagen?«, fragte Abu Dun.
Bevor Andrej antworten konnte, erscholl ein seltsamer, scharrender
Laut, gefolgt von einem Poltern und einem Schrei, der abrupt abbrach.
»Nicht mehr nötig«, sagte Andrej.
»Meine Mutter hatte wohl doch Recht«, seufzte Abu Dun. »Als ich
ein kleiner Junge war, wollte ich Zimmermann werden, weißt du,
aber sie hat mir davon abgeraten und gemeint, ich hätte kein Talent
dazu.«
»Pferde!«, befahl Meruhe. »Sie sollen Pferde für sie bringen! Für
uns alle!«
»Du bist verrückt!«, ächzte Ali Jhin. »Ihr werdet es niemals…«
Andrej sah nicht hin und konnte somit nicht sagen, an welcher Stelle seines Körpers sich Meruhe jetzt vergangen hatte, aber es musste
ziemlich wehgetan haben, denn der Sklavenhändler kreischte auf und
beeilte sich dann, Meruhes Forderung zu wiederholen, und das so
laut, dass auch der letzte Mann auf dem Hof seine Worte hören
musste.
»Das dauert viel zu lange«, sagte Abu Dun besorgt. »So viel Zeit
werden sie uns niemals lassen.«
»Es wäre auch alles einfacher gewesen, hättet ihr Dummköpfe nicht
versucht, die Helden zu spielen«, gab Meruhe gereizt zurück. Seltsam, aber Andrej glaubte ihr. Das, woran er sich erinnerte, die hilflose Lage, in der er sie vorgefunden hatte, der Anblick der niedergeschlagenen und kraftlosen Sklaven, das alles war ein Beweis für das
Gegenteil, aber tief in sich spürte er, dass die Nubierin Recht hatte.
»Dieser grobe Dummkopf liegt diesmal erstaunlich richtig, weißt
du?«, sagte Meruhe, nun offensichtlich wieder an Ali Jhin gewandt.
»Deine Leute sollen sich beeilen!«
Ali Jhin keuchte wieder, und Andrej sagte erschrocken: Ȇbertreib
es nicht. Wenn du ihn in Stücke schneidest, bevor wir hier raus sind,
haben wir ein Problem.«
»Keine Sorge«, erklärte Meruhe überzeugt. »Der Kerl ist zäh. Er
hält schon noch ein bisschen durch.«
Immerhin hörte Andrej nach diesen Worten keinen weiteren
Schmerzensschrei, was ihm wenigstens Anlass zu der Hoffnung gab,
dass sie seine Warnung beherzigte.
Andrej hätte hinterher nicht sagen können, wie viel Zeit die Freilassung der Sklaven benötigte. Ihm kam es wie eine Ewigkeit vor, in
der sich jeder Atemzug zu einer Stunde dehnte, doch vergingen vermutlich nur wenige Minuten, bis die ersten Sklaven ins Freie geführt
wurden. Zugleich brachten Ali Jhins Männer eine Anzahl Pferde
herbei, von denen die meisten allerdings ungesattelt waren und kein
einziges eine Packtasche trug; geschweige denn Lebensmittel oder
gar Wasser.
»Wasser«, sagte er. »Was ist mit Wasser und Essen?«
»Was für eine hervorragende Idee«, antwortete Meruhe spöttisch.
»Brauchen wir vielleicht noch ein paar Zelte und hübsche Sklavinnen, damit ihr euch unterwegs die Zeit vertreiben könnt?« Sie machte
eine herrische Kopfbewegung in Richtung des Tors. »Das Tor auf!«,
rief sie laut. »Ganz auf!«
Unnötig, zu sagen, dass Andrej die Bewegungen der Männer auch
diesmal viel zu langsam erschienen und die Zeit sich noch weiter zu
dehnen schien. Aber das Tor wurde geöffnet, und die ersten Sklaven
saßen auf und ritten hindurch. Andrej war vollkommen überzeugt
davon, dass sie ein Hagel von Pfeilen oder Speeren treffen musste,
sobald sie auf der anderen Seite anhielten, doch nichts geschah.
Nicht, dass ihn der Anblick tatsächlich mutiger stimmte. Etliche der
Männer und Frauen waren so schwach, dass sie es nur mit der Hilfe
der anderen geschafft hatten, überhaupt auf die Pferde zu kommen,
und es waren nicht wenige darunter, die des Reitens ganz offensichtlich nicht mächtig waren und sich mit mehr Glück als Geschick auf
dem Rücken der Pferde hielten. Selbst, wenn das Wunder geschah,
dachte er, und sie tatsächlich aus dieser Festung herauskommen würden - wie um alles in der Welt sollten sie Dutzende von Meilen durch
die Wüste kommen, noch dazu verfolgt von einer ganzen Armee?
Die Gedanken des Sklavenhändlers schienen sich auf ganz ähnlichen Pfaden zu bewegen wie die seinen, denn als Andrej kurz den
Blick wandte und ihm ins Gesicht sah, erkannte er darauf nichts anderes als einen Ausdruck tiefster Verachtung.
»Habt ihr jetzt, was ihr wollt?«, fragte Ali Jhin dann
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