Die Verfuehrerin
Begnadigung interessiert, und daß sie nur eine von Hunderten sei, mit denen er geschlafen habe- nicht mehr und nicht weniger. Voller Scham dachte sie an ihre eigenen Worte, mit denen sie ihn zur Heirat hatte überreden wollen. In diesem flackernden Wechsel aus Licht und Dunkelheit konnte sie spüren, wie ihr Gesicht sich blutrot färbte. Wie kindisch war sie gewesen, wie unreif!
Und wie kindisch benahm sie sich auch jetzt, indem sie sich immer wieder in den Gedanken verrannte, er habe sie verraten, während er doch in Wahrheit mehr als aufrichtig zu ihr gewesen war und nie mehr verlangt hatte als einen Job und ein paar schöne Stunden.
Während sie ihn betrachtete, öffnete er die Augen und sah sie an, und eine Sekunde lang war Chris versucht, sich ihm in die Arme zu werfen. Was sie auch für ihn empfinden mochte: es wurde nicht erwidert, und sie sollte sich lieber an diese Tatsache gewöhnen. Er liebte sie nicht, und sie würde aufhören, ihn zu lieben - auch wenn sie das umbringen sollte.
»Möchten Sie sehen, was ich gefunden habe?« fragte sie.
Er nickte nur, saß da und betrachtete sie mit heißen Augen.
Er denkt vermutlich daran, daß er mich schon einmal gehabt hat und eine Wiederholung nicht schaden könne. Kommt gar nicht in Frage, Cowboy!
Sie drehte sich von ihm weg, knöpfte ihre Bluse auf und holte einen langen schmalen Gürtel hervor, der sich aus kleinen silbernen Maschen zusammenzusetzen schien. »Er gehört mir«, sagte sie, ihn streichelnd und sich viel Zeit mit ihm nehmend, ehe sie ihn Tynan hinüberreichte.
»Er sieht abgenützt und alt aus. Wo hatten Sie ihn aufbewahrt? In Ihrer Reisetasche?«
»Nein«, sagte sie, als sie den Gürtel wieder in Empfang nahm. »Ich fand ihn hier, als ich in Dysans Sachen stöberte. Er hatte mehrere solcher Schätze in einem kleinen Schrankfach. Ich vermute, es handelt sich um Strandgut- angschwemmt von einem untergegangen Schiff. Aber ich wußte sofort, daß er mir gehört, und nahm ihn an mich.«
Tynan blickte sie einen Moment verwirrt an. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie diesen Gürtel noch nie zuvor gesehen, aber sogleich gewußt haben, daß er Ihr Eigentum ist?«
Sie sah ihn trotzig an.
»Ist das wieder Ihr Zweites Gesicht gewesen?« fragte er unbeirrt mit einem Lachen in der Stimme weiter.
Chris sagte nichts, schob das Kinn vor und versteckte den Gürtel wieder unter ihrer Bluse.
»Wozu ist er noch nütze?«
»Ich denke, ich werde versuchen, jetzt zu schlafen«, sagte Chris und reckte die Nase in die Luft.
»Ich wollte damit nicht...«, begann Ty, stockte dann aber mitten im Satz. »Sie wollten doch wissen, warum ich schon wieder neue Kleider trage, nicht wahr?« sagte er dann nach einer kurzen Pause.
Chris versuchte, ihre Neugierde zu zügeln, aber es gelang ihr nicht. Sie war Reporterin bis in die Fingerspitzen und konnte der Versuchung, daß ihr hier vielleicht Stoff für eine Geschichte geboten wurde, nicht widerstehen. Sie nickte verhalten.
Er begann mit dem Moment, wo er sich über das Dach in Reds Haus eingeschlichen hatte, und berichtete dann von den Männern, die draußen auf ihn gewartet hatten. Er erzählte von seinem Widerstreben, sich das weiße Lederkostüm eines Schaustellers anzuziehen, und wie er schließlich doch nachgegeben hatte.
Chris hörte ihm mit angehaltenem Atem zu, mehr aus Ehrfurcht vor dem, was er ihr nicht erzählte: wie schwierig es nämlich gewesen war, bis zu ihr vorzudringen. Sie lachte auch nicht, als er ihr von Chanry erzählte und wie sehr der Mann in das Lederkostüm verliebt gewesen sei.
»Aber würden die Männer ihn nicht jagen, sobald er den weißen Lederanzug trug, und würden sie nicht glauben, daß Sie darin steckten?«
Ty sah sie grinsend an. »Das war ja der Trick.«
»Oh, Ty, wie abscheulich von Ihnen. Dieser Mann könnte getötet werden.«
»Hmmm! Wäre es Ihnen lieber, ich hätte den Anzug behalten, damit man mich erschießt?«
»So habe ich es nicht gemeint, und das wissen Sie sehr gut!«
»Dann wird es Sie sicherlich freuen, von mir zu hören, daß Chanry, wie ich inzwischen erfahren habe, ihnen entkommen ist - ein wenig lädiert zwar, aber immerhin lebendig.«
»Und jetzt zweifellos wieder auf der Suche nach Ihnen.«
»Ich scheine ein gefragter Zeitgenosse zu sein«, sagte Ty.
»Haben Sie eine Ahnung, was Dysan von Ihnen möchte? Er schien sehr an Ihnen interessiert zu sein.«
»Das bezweifle ich. Er wollte nur wissen, ob es gelingt, durch die Maschen des Netzes zu schlüpfen,
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