Die Verfuehrerin
Leistung vollbracht. Also- möchte jetzt jemand essen?« Er streckte einen Arm aus. »Darf ich Sie zu Tisch führen, Miss Mathison?«
Chris fühlte sich ein wenig schwach in den Kniekehlen, als sie Tys Arm nahm. Sie war noch nie einem Mann begegnet, der in Gegenwart ihres Vaters nicht gekuscht hatte. Jeder andere Mann hätte getan, was auch Asher soeben tat: im Hintergrund bleiben und den Mund halten.
Sie traten zu den anderen- Del hatte ungefähr fünfzig Bewaffnete mitgebracht - und nahmen die erste richtige Mahlzeit seit über einer Woche ein. Chris lächelte ihren Vater an, der ein finsteres Gesicht machte, während sie versuchte, alle seine Fragen zu beantworten, ohne ihm die Wahrheit über die Gefahren zu sagen, in denen sie geschwebt hatte. Sie wollte ihn nicht noch mehr aufregen, als er es ohnehin schon war; und wenn sie ihn auch nicht direkt belog, so unterschlug sie doch vieles, was seinen Nerven nicht guttun konnte.
»Du bist in Hamiltons Haus gezogen, obwohl du wußtest, daß er seine Kusine hatte umbringen lassen?«
»Dessen war ich mir nicht sicher. Ich meine, es war ein schrecklicher Unfall mit dem Fuhrwerk. Viele Leute hätten bei so einem Unfall umkommen können, und ich wollte doch nur einem kleinen Jungen helfen. Außerdem hatte ich zwei große, kräftige Männer an der Seite, die du mir zu meinem Schutz geschickt hast. Was konnte da schon schiefgehen?« Sie wagte bei diesen Worten nicht, Pilar, Asher oder Tynan in die Augen zu sehen.
Del lehnte sich zu ihr. »Was schiefging, war Dysan. Hast du eine Vorstellung, wozu dieser Mann fähig ist?«
»Ja, die habe ich«, sagte sie leise. »Glaubst du, daß wir über ihn reden sollten, Papa?« fuhr sie mit einem Blick auf Samuel Dysan fort.
Mr. Dysan stellte seinen Teller auf den Boden. »Sie können mich nicht damit verletzen. Ich weiß besser als jeder andere, was für ein Mensch mein Großneffe ist. Ich hatte das Unglück, ihn aufwachsen zu sehen.«
Chris’ Neugierde kam an die Oberfläche. »Warum sagte er dann, daß er schon seit vielen Jahren nach Ihnen gesucht habe? Wußte er nicht, wo er Sie finden konnte?«
Del ermahnte seine Tochter, sich nicht ständig in fremde Angelegenheiten einzumischen; doch Chris war mit ihren Augen und ihrem Kopf nur bei Samuel, der wieder Tynan mit so lebhaftem Interesse betrachtete, daß Chris begann, zwischen beiden Männern hin und her zu schauen. Da gab sich Samuel einen Ruck und sagte: »Ich habe nie begriffen, was in dem Verstand dieses Jungen vor sich geht. Seine Mutter heiratete meinen Neffen, weil sie glaubte, er sei der Erbe meiner Besitzungen. Als sie aber feststellte, daß er es nicht war, hat sie ihren Sohn gegen mich aufgehetzt.«
»Und wer ist nun Ihr Erbe?«
»Christiana«, rief Del ihr mit donnernder Stimme zu, »ich bin nicht gewillt, mir deinen Mangel an Manieren noch länger gefallen zu lassen!«
»Ich bitte um Entschuldigung, Mr. Dysan. Das ist nur der Reporter in mir. Ich dachte, es könnte ja Zweifel bestehen, wer Ihr Erbe ist, da die Frau, die Sie eben erwähnten, glaubte, ihr Mann sei Ihr Erbe.«
Samuel legte die Hand auf Dels Arm. »Es ist schon gut. Mich stört diese Frage nicht. Ich habe einen Sohn, aber er ist vor vielen Jahren auf hoher See verschollen. Vielleicht bin ich ein Tor, aber ich hatte immer gehofft, ihn wiederzufinden. Doch selbst wenn ich ihn nie mehr wiederfinden sollte, würde ich meinem Großneffen nicht einen Cent hinterlassen.« »Er scheint mir auch so genügend Geld zu besitzen.«
Samuels Gesicht wurde hart. »Was er auch besitzt - er hat es durch Diebstahl, Betrug, Unterschlagung und Mord erworben.«
»Oh«, sagte Chris und blickte auf ihren Teller hinab.
»Mr. Tynan«, sagte Samuel, »ich habe einige Erfahrungen mit Wunden. Dürfte ich mir mal Ihr Bein anschauen?«
Tynan sah ihn überrascht an. »Wenn Sie sich zuerst um Pilar kümmern?«
»Ja, natürlich«, sagte Samuel und lächelte Tynan zu.
»Wissen Sie, daß Sie und er...«, begann Chris, von einem Mann zum anderen blickend.
»Und was war das, was du über Hugh Lanier geschrieben hast? Du hast den Mann eines Verbrechens beschuldigt, das zu den schlimmsten dieses Jahrhunderts gehört!« schrie Del seine Tochter an.
Chris mußte sich wieder ganz darauf konzentrieren, sich gegen ihren Vater zu verteidigen.
Kapitel 25
Chris konnte während des ganzen Abends ihrem Vater nicht eine Minute entrinnen. Sie wollte mit Tynan unter vier Augen sprechen, aber er schien immer so beschäftigt zu sein. Und
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