Die Verfuehrerin
Lionel. Versprich mir das.«
»Ja, natürlich werde ich ihm helfen. Sobald es Ihnen wieder bessergeht, werden wir beide...« Sie stockte, weil der Kopf der Frau zur Seite gefallen war. Sie war tot.
Asher setzte sich auf die Fersen zurück. »Wir müssen den Sheriff holen. Wir lassen die Leichen liegen und bringen den Sheriff hierher.«
»Chris«, sagte er scharf, weil sie angefangen hatte, die Sachen zu untersuchen, die vom Wagen heruntergefallen waren. »Was, zum Kuckuck, machen Sie denn da?«
»Ich suche nach etwas, das uns sagen kann, wer Lionel ist.«
Er faßte sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. »Ich bin nicht der Meinung, daß wir uns um Angelegenheiten kümmern sollten, die diese Frau das Leben gekostet haben. Wir reiten zu Ihrem Vater, und wir lassen uns auf dem Weg dorthin durch nichts und niemanden aufhalten. Dieser Lionel wird eben selbst auf sich aufpassen müssen. Und nun reiten wir zur nächstgelegenen Stadt.«
»Wir können sie hier nicht so liegenlassen«, sagte Chris.
Zunächst sah es so aus, als wollte er protestieren; doch dann ging er zur Leiche des Mannes, hob sie auf und trug sie die Böschung zur Straße hinauf.
Chris ging zu der toten Frau, faltete ihr die Hände auf der Brust und strich ihr die Haare glatt. Obwohl es schon fast Brust und strich ihr die Haare glatt. Obwohl es schon fast dunkel war, konnte sie erkennen, wie jung die Frau noch gewesen war und daß das Haar unter dem Blut die Farbe von reifem Weizen hatte. Viel zu jung zum Sterben, zumal eines gewaltsamen Todes, dachte Chris.
Sie richtete sich auf und betrachtete die Bündel um sich herum - ein paar Frauenkleider in einer Reisetasche; noch eine Stofftasche mit Nähsachen, eine Tasche für Männerkleider. Diese Dinge waren vom Wagen geschleudert worden, als er die Böschung hinuntergerollt war. Und da sah sie etwas im erlöschenden Abendlicht aufblitzen. Als sie es aufhob, entdeckte sie, daß es ein kleines in Leder gebundenes Buch mit einer Messingschließe war.
Sie suchte rasch in der Reisetasche des Mannes, fand eine Schachtel mit Streichhölzern, zündete eines davon an und überflog eine Seite des Büchleins. Wie sie gehofft hatte, war es ein Tagebuch, und ehe Asher es sah, las sie die Worte: »Wir müssen ihm helfen«, und »Lionels Leben könnte in Gefahr sein. Er ist ja noch ein Kind und hat nur uns.«
Als sie Asher hinter sich hörte, klappte sie rasch das Buch zu und schob es in die Tasche ihres Reitkleides.
Sie ließen den umgestürzten Wagen und die Bündel neben der Böschung zurück, damit der Sheriff sie dort in Augenschein nehmen konnte, stiegen zurück in den Sattel und ritten nach Süden.
Sie kamen zu einem Rasthof, und Chris hörte nur mit halbem Ohr zu, als Asher über das Essen und den Schmutz klagte und sich dafür bei ihr entschuldigte. Während sie sich über einen Teller mit angebrannten Bohnen beugte, mußte sie immer wieder an das Tagebuch denken.
Als Chris endlich in ihrer Unterkunft allein war, setzte sie sich aufs Bett und begann das Tagebuch durchzulesen. Es fing vor drei Jahren an, als Diana Hamilton den Mann geheiratet hatte, den sie für den klügsten Menschen auf Erden hielt: Whitman Eskridge. Sie brauchte nur zwei Monate, um festzustellen, daß er sie nur ihres Geldes wegen geheiratet hatte. In einem halben Jahr hatte er alles ausgegeben, was sie in die Ehe mitgebracht hatte, und verlangte mehr.
Chris las, wie dieser Mann sich allmählich eine Beteiligung an den Geschäften der Hamiltons erschlichen hatte- und nachdem Dianas Vater Selbstmord begangen hatte, mußte sie entdecken, daß Whitman Firmengelder unterschlagen hatte.
Die Gesellschaft hatte Konkurs anmelden müssen, doch Diana stand in diesem Skandal und während der öffentlichen Versteigerung des Besitzes zu ihrem Mann. Als er zu ihr sagte, daß er in Zukunft bei ihren reichen Verwandten im Territorium von Washington leben wolle, hatte Diana sich widerstrebend damit einverstanden erklärt. Sie hatte ihrem Vetter, Owen Hamilton, den sie in ihrem Leben noch nie gesehen hatte, einen Brief geschrieben, in dem sie ihn um Mitleid und christliches Erbarmen bat - und um ein Dach über den Kopf für ihren Mann und sich.
Dann folgte eine Reihe von Tagen, in denen nichts eingetragen war; Diana nahm dann ihre Tagebucheintragungen mit dem Bekenntnis wieder auf, daß Whitman ihr mitgeteilt habe, Owen würde Lionel bestehlen. Chris fand das verwirrend, bis sie ein paar Seiten weitergelesen hatte. Den Angaben im
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